STELLA DOES TRICKS


Traum- Spotting

Halbtraurige Nummern-Revue mit minderjähriger Prostituierter

Auf dem Weg hierher bin ich meiner kleinen Tochter begegnet. Pappi, sagte sie stolz, ich habe gevogelt. Du meinst wohl gevögelt? wies ich sie sanft zurecht. Neinnein, sagte sie, es war ja nur einer.
Solche Witze erzählt der Vater der Hauptfigur in ihren Träumen, mal als Standup-Komiker von der Kirchenkanzel herab, mal von allen außer Stella ungesehen mitten in ihrem Scheißleben stehend. Stella ist Nutte. Und höchstens 15. Auch wenn sie in den ersten Minuten des Films um mindestens 10 Jahre zu altern scheint.
Mit lustigen Zöpfen, mit einem Teddy im Arm und einer Eistüte in jeder Hand hüpft sie durch den Park, setzt sich neben einen distinguierten älteren Herrn auf die Bank, scherzt mit ihm über das Wechselgeld, das sie behalten darf ... und dann muß sie ihm in die Hose gehen.
Solche Szenen erfindet Coky in ihrem ersten Spielfilm immer wieder. Niedlichkeit verwandelt sich in Niedertracht, leichthändiger Realismus in poetische Kleinmeisterei, hoffnungsvolle Aufbrüche in Katastrophen. Möglicherweise endet Stella auch tragisch; so genau weiß man es nicht.
Am Anfang flieht das unterdrückte Kind aus den Armen der Kunden in bunte, lustige Tagträume, aber schon bald übernehmen die sie prägenden Figuren (ihr Vater, ihr Zuhälter) auch in der Phantasie die Regie. Die wirkliche Regie deutet in solchen Zwischen-Szenen die psychosoziale Desorientierung der Hauptperson glücklicherweise nur an: frühe Übergriffe durch den erfolglosen, verzweifelten Vater, frühe Verdrängung durch das prüde Tanten-Milieu.
Als Stella schließlich wirklich flieht, zusammen mit einem netten drogensüchtigen Bekannten, tauschen Traum und Trott für ein paar Tage die Rollen. Voll naiver "Wir schaffen das"-Hoffnung jobbt Stella am Blumenstand und klebt bunte Tapeten in ihre Absteige, wie Kinderstreiche organisiert sie die Rache an ihren Peinigern, während die längeren Gedankenspiele sie wieder in ihre Geschichte einfangen, sie wieder zurückziehen zur Ausweglosigkeit. Nur für einen Augenblick gab es die Möglichkeit von Zukunft und Romanze - aber schon bald braucht ihr neuer Freund doch wieder Geld für Stoff.
Kunstgewerblich ist all das gut gemacht - und sehr englisch in der lakonischen Balance von Subtilität (die Tapeten der Hoffnung kleben schief) und Seelendrama (schutzsuchend klammert sich Stella an ihren Zuhälter, während der sie strafvergewaltigen läßt), Schmutz und Schmunzeln. Nur: realistisch ist das natürich nicht. Und etwas amerikanischer hätte die aus All That Jazz entlehnte Schlußszene (Stellas Standup-Solo über ihr eigenes Leben) schon werden können. Denn zum richtigen Erschrecken sind die Witze nicht gut genug.

WING