STELLAS VERSUCHUNG

Obsession im Puppenheim

Die brave Beobachtung einer britischen Leidenschaft, die direkt und klaglos in den Abgrund führt

Es ist alles ganz meisterlich arrangiert: Der tumbe Gatte tritt in den 50ern seine Stelle in einer psychiatrischen Anstalt an, dabei auf den Direktorenposten spekulierend. Von seiner gelangweilten Gattin Stella verlangt er nicht mehr, als dass sie sich ordentlich benimmt und seinen Ambitionen nicht im Wege steht. Stella hingegen will ihr Leben nicht mit Stickereien und Kaffeekränzchen bei den örtlichen Mittelstandsdamen vergeuden. Vom auch sexuell desinteressierten Ehemann vernachlässigt, beginnt Stella eine Affaire mit einem der Insassen, einem hitzköpfigen, attraktiven Bildhauer, der hier einsitzt, weil er in einem Eifersuchtsanfall seine Frau - nein, nicht einfach ermordete, sondern regelrecht abgeschlachtet hat.
Das Herbstlaub fügt sich perfekt zur Frisur von Stella-Darstellerin Natasha Richardson, anschwellende Orchestertöne signalisieren düstere Entwicklungen an noch düsteren Schauplätzen, meisterlich fotografiert von Giles Nuttgens. Die Schauspieler - von Ian McKellen über die Richardson bis hin zu Marton Csokas - sind durchweg brillant, der Film schnurrt wie ein Maschinchen seinem tragischen Ende entgegen. Denn natürlich muss die ungezügelte Wildheit der läufigen Arztgattin bestraft werden.
Mit zynischer Kälte beobachtet Regisseur David Mackenzie den Abstieg einer Frau, die von allen benutzt wird. Und die Arroganz einer Gesellschaft, die Liebe und Leidenschaft nur als Geisteskrankheit begreifen kann. Stellas Versuchung ist eine perfekt abgefilmte Versuchsanordnung, ein Melodram ohne Sentiment, eine Puppenstube, in der "Obsession" gespielt wird.
Auf der Berlinale gab's 2005 dafür den "Preis der Gilde der deutschen Filmkunsttheater". Den kennt Zurecht niemand. Und den gibt's Zurecht für genau solche Filme: Brillant aber uninteressant.
Stellas Versuchung (was für ein bescheuerter deutscher Titel!) macht alles richtig, aber er hat kein Herz, nur eine Sichtweise. Er lässt einen als Zuschauer kalt. Das ist das dümmste, was einem Film über die Macht der Leidenschaft passieren kann.

Victor Lachner

Asylum. GB 2005 R: David Mackenzie. B: Patrick Marber, Chrys Balis. K: Giles Nuttgens. D: Natasha Richardson, Ian McKellen, Marton Csokas, Hugh Bonneville, Joss Ackland, 99 Min.