STILLES CHAOS

Rein privat

Wie lebt man weiter nach dem Tod des Partners? Nanni Moretti hat eine originelle Antwort: Man setzt sich erstmal auf eine Parkbank.

Katastrophen ereignen sich manchmal beiläufig. Pietro hat gerade jemandem das Leben gerettet, indem er furchtlos ins Meer sprang und eine heftig um Hilfe schreiende Frau aus den Wellen zog. Am Ufer wird sie von ihrer Familie in Empfang genommen, die sogleich einen schützenden Kreis um die Erschöpfte bildet und sie vorsichtig auf den Sand bettet. Pietro steht daneben, niemand beachtet ihn und seine Tat.

Als er nach Hause kommt, sieht er einen Rettungswagen vor der Tür stehen und seine kleine Tochter stürzt ihm weinend entgegen. Mama ist tot! Einfach so.

Es war wohl keine große Liebe mehr zwischen den Eheleuten. Eher starr und ungläubig nimmt Pietro die Botschaft vom Tod seiner Frau entgegen. Aber als er in den nächsten Tagen die Tochter zur Schule bringt, beugt er sich zum Abschied zu ihr herunter und sagt; Ich werde hier auf dich warten, bis die Schule zu ende ist.

Das wird Pietro tun. Tag für Tag. Er wird in einem kleinen Park gegenüber der Schule auf seine Tochter warten. Er wird dabei ausgeglichen wirken, Zeitung lesen, Menschen kennen lernen, Freundschaften schließen. Schließlich werden sogar die Kollegen aus der Firma zu ihm kommen. Pietro ist ein wichtiger Mann, sein Medienkonzern steht vor einer Fusion mit einem US-Konzern. die Kollegen werden mit ihm über die Arbeit sprechen. Er wird Intrigen erleben, Tränen, Umarmungen. Er wird dabei freundlich bleiben, etwas traurig, ratlos. Und er wird manchmal sagen: Ich bin zu blöd, ich bekomme nichts mehr mit.

Nanni Moretti spielt diesen seltsamen Traurigen mit leiser Wut. Er weiß, dass ihm etwas im Leben abhanden gekommen ist, aber er weiß nicht, wie das passieren konnte. Und wo man jetzt anknüpfen sollte. Er durchsucht zu Hause den die Emails seiner verstorben Frau und findet dort verdächtige Dateien; er löscht sie, ohne sie zu lesen. Er tröstet seine Schwägerin, die mit ihm Sex haben möchte, und liest seiner Tochter abends vor. Er ist ganz da und doch ziemlich weit entfernt von allem.

Eines Nachts träumt Pietro von wildem Sex mit jener Dame, die er anfangs gerettet hat. Die ist zufällig die Geliebte von Steiner, dem Chef jenes US-Konzerns, mit dem die Fusion geplant ist. In einem bemerkenswerten Gast-Auftritt erscheint Roman Polanski als Steiner und besucht Pietro im Park. Sie setzen sich in ein Auto und reden, wir hören nicht was. Am Ende wird Pietro gefragt: Was wollte Steiner von dir, hat er was über die Fusion gesagt? Ja, sagt Pietro, er hat mich was gefragt, aber das war privat.

Wir werden nicht erfahren, woran Pietros Frau starb. Ob sie eine Affäre hatte, ob Pietro sie geliebt hat.

Wir sehen nur die verhaltene Reaktion eines inzwischen ziemlich großen Schauspielers wie Nanni Moretti, die Reaktion auf ein Leben, das er nicht mehr versteht. In diesem Alter rennt man nicht mehr nach Katmandu oder stürzt sich ins Meer. Man setzt sich auf eine Parkbank und wartet darauf, dass das Leben langsam wieder zurückkommt. Wenn man Glück hat und eine kleine Tochter, tut es das meistens.

Moretti hat diesen Film von seinem alten Freund, dem TV-Regisseur Antonio Grimaldi inszenieren lassen. Aber Stilles Chaos ist in jeder Sekunde ein Moretti-Film. Klug, traurig, ratlos, ein bisschen somnambul und witzig. Woody Allen hat früher ähnliche Filme gedreht.

Thomas Friedrich

Caos calmo. It 2008. R: Antonio Luigi Grimaldi. B: Nanni Moretti, Laura Paolucci, Francesco Piccolo. K: Alessandro Pesci. D: Nanni Moretti, Valeria Golino, Alessandro Gassmann, Blu Di Martino