DER STILLE AMERIKANER

Tödlich naiv

Zwei Männer, eine Frau und ein Land vor dem Krieg

Michael Caine gehört zu den Schauspielern, bei denen man das Gefühl hat, nie vollständig in sie hineinsehen zu können. Der blasse, durchsichtige Teint, die wässrig blauen Augen suggerieren Transparenz und Fragilität. Die Abgründe dahinter kann man immer nur erahnen. Aus dieser Ambivalenz speiste sich seine angsteinflößende Präsenz in Get Carter (1971) genauso wie seine moralische Glaubhaftigkeit als äthersüchtiger Abtreibungsarzt in Gottes Werk und Teufels Beitrag (1999).

In Der stille Amerikaner spielt Caine einen britischen Journalisten, der Anfang der 50er Jahre in Vietnam hängen geblieben ist. Fowler ist kein Zyniker, nur ein Mann ohne Ambitionen. Ganze drei Berichte hat er im letzten Jahr in der London Times untergebracht. "Ich bin nicht involviert. Ich berichte nur, was ich sehe", lautet sein Credo in einem Land, das sich gerade mit Hilfe der kommunistischen Truppen Ho Chi Minhs vom französischen Kolonialismus befreit.

Ihm gegenüber steht ein junger Amerikaner (Brendan Fraser), der mit einem wirtschaftlichen und medizinischen Hilfsprogramm Vietnam vor dem Kommunismus retten will. Fowler blickt auf Pyles naiven Idealismus mit existenzialistischer Gelassenheit.

Mit dem Gefühl der Überlegenheit ist es zuende, als Pyle sich in Fowlers langjährige Geliebte Phuong (Do Thi Hai Yen) verliebt. Genauso wie Pyle das Land retten will, möchte er auch die junge Phoung vor dem Untergang bewahren, die seit dem Tod ihrer Eltern auf halbprostitutive Beziehungen angewiesen ist.

Während die beiden Männer um eine Frau kämpfen, streitet das Land um seine Unabhängigkeit. Zwischen die französische Kolonialmacht und die kommunistischen Kämpfer stellt sich ein dubioser General als dritte vermeintlich unabhängige Kraft. Von seiner Redaktion unter Druck gesetzt, begibt sich Fowler widerwillig an die Schauplätze des Bürgerkrieges im Norden und entdeckt, dass hinter der "dritten Kraft" der amerikanische Geheimdienst steckt. Nach einem verheerenden Terroranschlag im Zentrum Saigons findet Fowler heraus, dass der gutmütige Pyle persönlich die brutalen Operationen des CIA organisiert. Der Krieg bietet Fowler die Chance, sich durch gezielte Denunziation seines Konkurrenten zu entledigen.

Bereits 1955 hat Graham Greene Der stille Amerikaner verfasst und damit 10 Jahre vor dem ersten Einsatz von US-Truppen enorme politische Weitsicht bewiesen. 1958 wurde der Stoff schon einmal von Joseph Mankiewicz verfilmt. Damals wurde allerdings das Ende propagandistisch verfremdet, indem man den CIA-Agenten zum demokratischen Helden hochstilisierte. Dabei verzichtete Greene, in einer Zeit, die durch den Kalten Krieg in einem glasklaren Freund-Feind-Denken verhaftet war, bewusst auf einfache moralische Grenzziehungen.

Phillip Noyces Neuverfilmung verpflichtet sich mehr dem Geist der Vorlage, deren Stärke in der untrennbaren Verflechtung von Politischem und Persönlichem, von Idealismus und Niedertracht, von Zynismus und Naivität liegt. Mit dem legitimen Verrat gibt Fowler seine politische Neutralität auf, aber nicht nur aus moralischen Beweggründen, sondern auch aus ganz persönlichem Eigennutz. Er tut aus den falschen Gründen das Richtige, während Pyle aus edler Gesinnung Schreckliches vollbringt.

Brendan Fraser, der auf die Rolle des naiven Gutmenschen abonniert ist, erweist sich als ideale Besetzung, weil er hier sein eigenes Image auf den Kopf stellen kann. Michael Caine spielt den etwas abgetakelten Journalisten, der widerstrebend aus seiner Lethargie erwacht, mit perfekt portioniertem Understatement. Hinzu kommen die Bilder von Wong Kar-Weis Kameramann Christopher Doyle (In the Mood for Love), der die Szenerie mit einem vorapokalyptischen Schleier überzieht und die Schönheit des Landes jenseits exotistischer Klischees einfängt.

Martin Schwickert

The Quiet American USA 2001 R: Phillip Noyce B: Robert Schenkkan, Christopher Hampton n. D. Roman v. Graham Greene K: Christopher Doyle D: Michael Caine, Brendan Fraser, Do Thi Hai Yen