DIE STILLE NACH DEM SCHUSS

Dienst nach Vorschrift

Die Geschichte der RAF-Frau Inge Viett

Geht doch rüber! riefen in den 70ern aufgebrachte Bundesbürger am Straßenrand den demonstrierenden Sympathisanten zu, aber erst nach der Wende wurde bekannt, dass ausstiegswilligen RAF-Mitgliedern in der DDR tatsächlich politisches Asyl gewährt wurde. Volker Schlöndorff hat sich dieser deutsch-deutschen Merkwürdigkeit angenommen und orientiert sich mit seinem Film Die Stille nach dem Schuss an der Autobiografie von Inge Viett. In ihrem Buch berichtet die ehemalige Terroristin ausführlich vom Leben in der Illegalität und nur kurz über den Aufenthalt in der DDR.

Schlöndorff und sein Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase verschieben die Gewichte. Die Zeit der militanten Stadtguerilla wird als kurze Stationsreise abgehakt: gutgelaunte Banküberfälle Anfang der 70er, gefolgt von Gefangenenbefreiungen, die die ersten Menschenleben kosten, bis hin zum gehetzten Leben zwischen Konspirativität und Verfolgungswahn nach dem deutschen Herbst. Als Rita Vogt (Bibiana Beglau) Anfang der 80er in Paris auf der Flucht einen Verkehrspolizisten niederschießt, entscheidet sie sich für den Ausstieg und ein neues Leben in der DDR. Stasi-Offizier Erwin (Martin Wuttke) hatte den bewaffneten Kämpfern schon wiederholt die Flucht durch den Eisernen Vorhang ermöglicht und setzt sich nun auch für die Eingliederung der RAF-Aussteigerin ein. Rita Vogt bekommt eine neue Identität, eine Plattenbauwohnung und eine Stelle als Textilarbeiterin im VEB.

Aus dem wilden Leben in der Illegalität mitten hinein in den sozialistischen Arbeitsalltag - der Kontrast könnte größer nicht sein. Aber Schlöndorff lässt die linke Idealistin aus dem Westen fast reibungslos in den realexistierenden Sozialismus hineingleiten. Um die Sympathien für die ehemalige Terroristin zu sichern, entpolitisiert er die Figur mit Bedacht und kanalisiert alle Konflikte in eine Liebesgeschichte mit der wilden Außenseiterin Tatjana (Nadja Uhl). Bibiana Beglau als Rita Vogt ist ganz das Gegenbild einer verbissenen Kämpferin. Offenherzig und mit einer ruhigen inneren Kraft bewegt sie sich durch den Film. Zweifellos schaut man ihr gerne dabei zu. Aber wenn eine nette Terroristin von guten Stasi-Offizieren in einer miefigen, aber kuscheligen DDR versteckt wird, kann daraus kein spannender Film werden.

Schlöndorff und Kohlhaase wollen nicht die gängigen Feindbilder bedienen. Das ist ehrenwert, führt aber dazu dass die Widersprüche, die die Geschichte interessant machen könnten, weitgehend ausgeblendet werden. Die Schwäche des Films liegt nicht in mangelnder historischer Authentizität, sondern in der fehlenden Fantasie. Schlöndorff hätte sich von der Vorlage lösen und streitbare Spekulationen wagen sollen. Statt dessen wird durch übertriebene politische Vorsicht aus einem der spannendsten Stoffe der jüngsten Geschichte doch wieder deutsches Dienst-nach-Vorschrift-Kino.

Martin Schwickert

D 2000 R: Volker Schlöndorff B: Wolfgang Kohlhaase. K: Andreas Höfer. D: Bibiana Beglau, Martin Wuttke, Nadja Uhl, 101 Min.