ST. JACQUES - PILGERN AUF FRANZÖSISCH

Das Ziel ist im Weg

Stadtneurotiker auf dem Jakobsweg - bei Coline Serreau hilft's

Für die drei Geschwister führt der Weg zur millionenschweren Erbschaft zu Fuß über die Pyrenäen nach Santiago de Compostela. Hoffnungslos zerstritten sind die resolute Lehrerin Clara, der alkoholsüchtige Arbeitslose Pierre und der hektische Workaholic Claude. Deshalb hat die Mutter im Testament den Dreien eine gemeinsame Pilgerreise auf dem Jakobsweg verordnet.

Nicht erst seit Hape Kerkelings Bestseller Ich bin dann mal weg feiert der historische Pilgerweg, der sternförmig aus ganz Europa zur Grabstätte des Apostels Jakobus führt, sein Comeback. Über 100.000 Bet-Brüder und -Schwestern waren es, die sich 2006 auf den Weg machten (und damit vier Mal so viel wie zehn Jahre zuvor). Der Weg ist das Ziel für die Pilger, die zumeist einfach nur aussteigen wollen aus ihrem hektischen Leben.

Im Mittelalter ging es um den Ablass der Sünden, heute ist Pilgern vorwiegend ein Selbsterfahrungsprojekt und dient eher der Entschlackung als der Erleuchtung. Und so hat jeder der neun Teilnehmer der Pilgergruppe in Colin Serraults besinnlicher Komödie sein Päckchen zu tragen. Das Geschwistertrio wandert für den eigenen Anteil am Familienvermögen, der Araber Saïd hat sich auf die Reise gemacht, um seiner Klassenkameradin zu imponieren. Sein etwas minderbemittelter Cousin ist der festen Überzeugung, dass er sich auf dem Weg nach Mekka befindet. Der Reiseleiter Guy versucht unterwegs, sofern es das lückenhafte Mobilfunknetz zulässt, am Telefon seine Ehe zu retten, und die schweigsame Mathilde ist wahrscheinlich die Einzige, die sich von der Pilgerfahrt ein heilsames Wunder erhofft.

Mit leichter Hand verbindet Serrault ( Drei Männer und ein Baby ) die verschiedenen Figuren, lässt die Gruppendynamik brummen und findet unterwegs noch Zeit für hübsche Landschaftsaufnahmen, die auch die geschwätzigen Großstädter punktuell zum Schweigen bringen.

Unübersehbar steht die heterogene Reisegruppe für die Konflikte und die selbstentfremdete Lebensweise in der westlichen Gesellschaft. Die inneren Wandlungen, die die Figuren auf der Pilgerreise vollziehen, sind jedoch bescheiden. Auf eine Massenkatharsis hat Serrault zum Glück verzichtet. In ihrem Off-Road-Movie lenkt sie den Blick vielmehr von der Oberfläche gegenseitiger Ressentiments auf eine liebenswerte Betrachtung menschlicher Schwächen und entwirft eine sommerleichte Komödie über den steinigen Weg zu Toleranz und Selbstakzeptanz.

Martin Schwickert

F 2005 R&B : Coline Serreau K: Jean-François Robin D: Muriel Robin, Artus de Penguern, Jean-Pierre Darroussin