Stories We Tell

Freundliche Sippe

Sarah Polleys unterhaltsame und witzige Dokumentation über die eigene Familie

Es beginnt mit nervösen Familienmitgliedern, die ein Mikrofon angesteckt bekommen und sich ins Scheinwerferlicht setzen. "Ich hab Angst, dass ich meine Bluse durchschwitze", sagt eine Frau. "Dauert das länger?", fragt ein älterer Herr, "dann gehe ich vorher besser noch mal pinkeln".

Mit enormer Lässigkeit nährt sich Sarah Polley ihrer Familie und lässt alle von der Mutter Diane erzählen. Diane war, wie Sarahs Vater, Schauspielerin und lebensfroh und aufgedreht und Mutter von fünf Kindern in zwei Ehen und starb, als Sarah gerade mal 10 Jahre alt war.

Sarahs Vater hat über die Familiengeschichte sogar einen langen Text geschrieben, den er in einem augenscheinlich professionellen Studio vorliest, Tochter Sarah am Mischpult korrigiert ihn, wenn er Sätze ihrer Meinung nach falsch betont.

So nähert sich der Film leicht elliptisch dem Leben von Diane, die in ihrer Ehe nicht ganz glücklich war (was ihr Mann unumwunden zugibt), die ihre Kinder über alles liebte, und die offenkundig Affären hatte. Und mitten im Film ändert sich plötzlich die Ausrichtung dieser bis jetzt nur leicht unkonventionellen Ahnenforschung, und es stellt sich die Frage: Wer ist eigentlich Sarahs wirklicher Vater?

Mit Interviews, Zeitdokumenten und sehr einfühlsam nachgedrehten Szenen stellt die Schauspielerin Sarah Polley (die wir noch wunderbar aus Mr. Nobody und Splice in Erinnerung haben) eine ziemlich verrückte und nette Familie vor. Und wie das Leben manchmal ganz anders verläuft und wie sich Wahrheiten ändern. Und dass das manchmal gar nicht viel ausmacht

Am Ende sehen wir, dass Sarahs wirklicher Vater leicht beleidigt darüber ist, dass er die Geschichte nicht allein erzählen durfte. "Das ist meine Geschichte!", sagt er am Ende. Und die schmale blonde Sarah sagt aus dem Off: "Vielleicht geht es in meinem Film darum, wie man sich der Wahrheit nähert."

Das war selten so spannend und unterhaltsam zu beobachten wie bei dieser kanadischen Sippe, die über alle Fallen des Lebens hinweg eine geradezu unverschämt freundliche Haltung bewahrt hat. Und deren jüngstes Mitglied Sarah Polley darüber eine recht intime und niemals voyeuristische Dokumentation gedreht hat.

Am Schluss stellt sie dem Vater eine recht brutale Frage zum Tod der Mutter. Der muss schlucken und die Tränen schießen ihm in die Augen. "Du bist eine harte Regisseurin!", sagt er und wischt sich was aus dem Auge. "Du hast gesagt, ich soll dich härter rannehmen", hört man Polleys sanfte Stimme aus dem Off. "Das stimmt", sagt der Vater.

Thomas Friedrich

Kanada 2012 R & B: Sarah Polley K: Iris Ng D: Rebecca Jenkins, Peter Evans, Alex Hatz, Sarah Polley