»AN JEDEM VERDAMMTEN SONNTAG«

Die Jagd nach dem Ei

Oliver Stones Football-Film läßt es auf allen Ebenen krachen

Für den zivilisierten Durchschnittseuropäer bleibt American Football ein ewiges Rätsel. Hühnenhafte Gestalten in postmodernen Ritterrüstungen schlagen sich in großer Anzahl um ein eiförmiges Gebilde und versuchen damit durchzubrennen. Kommt der Flüchtende zu Fall, stürzen sich alle verfügbaren Kräfte auf den armen Kerl, und es dauert etwa eine Viertelstunde, bis das Knäuel aus entfesselter Manneskraft entflochten ist. Sind die Raufbolde endlich wieder nach Farben sortiert, stecken sie ihre behelmten Köpfe dicht zusammen und tuscheln ausgiebig herum, bevor sie sich erneut an der Mittellinie um das Ei versammeln, um weiter aufeinander einzuprügeln.
Woche für Woche hält dieser zähflüssige Gladiatorenkampf die amerikanische Nation in Atem. Der Superbowl ist wichtiger als die Oscar-Verleihung, ganz zu schweigen vom Präsidentschaftswahlkampf. Oliver Stone hat sich in seinem filmischen Werk ( JFK , Nixon , Natural Born Killers ) als amerikanischer Mythenknacker einen Namen gemacht und wirft nun einen zornigen Blick hinter die Kulissen des Footballbusiness.
Tony (Al Pacino) ist ein Coach der alten Schule. Zweimal hat er die "Miami Sharks" schon zur Meisterschaft geführt, aber jetzt steht die Mannschaft vor dem Abstieg. Die besten Spieler werden abgeworben, die Einschaltquoten gehen zurück und die junge, eiskalte Managerin Christina (Cameron Diaz) denkt heimlich darüber nach, das Team zu verkaufen.
Als der 39-jährige Mannschaftskapitän mit einer schweren Verletzung vom Rasen getragen wird, bekommt der junge, schwarze Quarterback Willie Beamen (Jaimie Foxx) seine unerwartete Chance. Schon nach wenigen Einsätzen wird der ehrgeizige Spieler als Star gefeiert und gerät mit seinem Coach in Konkurrenz, weil er auf dem Rasen seine eigenen Spielzüge durchsetzt, um den persönlichen Verkaufswert in der Liga zu steigern. Nicht nur die Autorität des alten Trainers, sondern auch der Teamgeist steht auf dem Prüfstand.
In drastischen Farben schildert Oliver Stone die Perversionen des kommerziellen Profisports. Die millionenteuren Spieler können sich nur noch mit Schmerzmitteln fortbewegen. Um die Werbeprämie zu kassieren, schleppen sie sich sogar mit Bandscheibenvorfällen und Stammhirnschäden in die Arena, und ein Augapfel wird auch schon einmal getrennt von seinem Eigentümer vom Platz getragen.
Oliver Stone ist einer der großen Kinomoralisten und so ist An jedem verdammten Sonntag nur vordergründig ein Film über Football. Auf dem Spielfeld werden amerikanische Werte wie Treue, Teamgeist und Mannesehre verhandelt und der Verfall bewährter Traditionen ausgiebig betrauert. Wenn Al Pacino mit einem flammenden Plädoyer, die Mannschaft dazu bewegt, gemeinsam den Karren noch einmal aus dem Dreck zu ziehen, könnte das auch als Präsidentenansprache zur Lage der Nation durchgehen.
Stone verpackt seine etwas altbackene Botschaft in eine hochmoderene, hyperdynamische Bildästhetik. Die Kamera ist immer in Bewegung und die Schnittmeister halten eine Einstellung selten länger als wenige Sekunden. Wie die Filmhelden scheinen sich auch die Bilder dem Adrenalinrausch hinzugeben. Auf der Tonspur krachen die Knochen ohrenbetäubend und ein Musiktitel jagt den anderen. Wie in Natural Born Killers nimmt die Soundtrack-Liste den größten Teil des Abspannes in Anspruch. Immerhin ist es Stone gelungen, einen langweiligen Mannschaftssport mit wenig unterhaltsamen Moralpredigten zu einem spannenden Kinoerlebnis zu fusionieren. Auch das ist eine Kunst.

Martin Schwickert