Taste the Waste

Alles muss raus

Warum wir so viel wegwerfen

Es ist eine Schande", sagt der Bauer, "40 Prozent der Kartoffeln bleiben auf dem Feld liegen". Das tun sie nicht, weil so viele davon schlecht wären. Sie entsprechen nicht der Verkaufsnorm, sie sind zu klein, zu dick oder verwachsen. Ähnliches gilt für Gurken, die genormt gerade sein müssen, für Tomaten, deren Rötung mit Farbscannern geprüft werden, oder für Bananen. Was nicht ins Schema passt, muss vernichtet werden.

Dieser Teil der vorweggenommenen Zerstörung macht aber nur einen Bruchteil dessen aus, was täglich an Lebensmitteln vernichtet wird, die aufgrund langer Transportwege schon angeschlagen beim Großhändler ankommen und direkt vernichtet werden oder die am Ende eines Tages nicht verkauft wurden. Alles muss weg.

Wie viel weg muss, dazu nennt der Österreicher Valentin Thurn eine Menge Zahlen, die zwar beeindruckend klingen, für die es aber keine Belege gibt. Eine der Schwächen des Films ist, dass er seinen Bildern nicht traut (die durchaus beeindruckend sind) und dafür immer wieder Zahlen präsentiert, deren Quellen unklar bleiben.

Überzeugender ist der Film, wenn er Alternativen im Kleinen aufzeigt: Die Bäckerei, die ihren Brotüberschuss granuliert, mit Holzpellets vermischt und damit die eigenen Öfen heizt. Oder die Kooperative in Tuscon, wo die Bauern direkt an einen Markt liefern, auf dem sich die Genossenschaftler für einen Jahresbeitrag täglich mit allem eindecken können, was sie brauchen.

Dass unsere Überproduktion Hunger erzeugt, versucht der Film etwas holprig im letzten Drittel zu beweisen. Da geht es um afrikanische Erzeuger und europäische Verbraucher, um Enteignungen in Kamerun zugunsten großer Lebensmittelkonzerne. Was eine Kamerunerin in Frankreich täglich im Auftrag eines Marktes im großen Stil entsorgt, könnte sich ihre Familie in Kamerun nicht mal bruchstückweise leisten: Wir fressen zu viel, zu billig und zu sorglos.

"Unsere Kühlschränke sind zu groß!", moniert ein Herr aus Italien, Repräsentant der Slow Food Bewegung, "sie sind zu Vorzimmern unserer Mülleimer verkommen".

So liegt alles ein bisschen an allem. Unsere Angst vor Seuchen hat zu einem EU-Verbot geführt, Nahrungsmittelreste zu Tierfutter zu verarbeiten. Unsere Sorge um die Frische hat groteske Züge angenommen (früher hielt ein Mineralwasser offiziell anderthalb Jahre, sagt ein Händler, heute knapp sechs Monate), in Japan werden Sushi-Verkaufseinheiten mit Verpackungsdaten versehen, die die Abpack-Stunde angeben.

Manches in Taste the Waste ist einfach nur hübsch skurril. Etwa der Imker, der auf den Dächern von New York seine Bienenstöcke aufbaut und sagt, dass er einen hervorragenden Honig erhalte. Und außerdem könne er den Kindern zeigen, dass Honig eben nicht von kleinen gelben Plastikbärchen komme.

Irgendwas geht schief mit dem Müll und der Art, wie wir ihn hinterlassen. Taste the Waste kann auch nicht sagen, wie wir das ändern könnten. Schließlich ist das ein Film, nicht die WHO (die es übrigens auch nicht weiß). Aber nach 90 ebenso schockierenden wie unterhaltenden Minuten verlässt man das Kino mit dem unbedingten Wunsch, etwas ändern zu wollen. Notfalls am eigenen Konsumverhalten.

Zum Filmstart erscheint (mit Stefan Kreutzberger als Co-Autor) Die Essensvernichter - Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist, das Buch zum Film. Allerdings ist das mehr als die Schriftform des Kinofilms. Der findet sich komplett nacherzählt auch wieder, dafür bietet das Paperback eine Menge Zahlen mehr, stellt vieles, was im Film eher rätselhaft erscheint in einen einleuchtenden Zusammenhang und erzählt zudem manchmal auch die Geschichte hinter der Geschichte. Etwa dass "Mülltaucher" (Leute, die die Mülltonnen der Supermärkte nach Verwertbarem durchsuchen und es nutzen) regelmäßig vor Gericht landen, weil Müllklauen illegal ist. (Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011, 320 S., 16,99)

Thomas Friedrich

D 2010 R & B: Valentin Thurn