»TAUSEND MORGEN«

Töchter im Krieg

König Lear im Maisfeld

Schon ihr Debütfilm Proof - der Beweis wurde für die australischen Regisseurin Jocelyn Moorhouse zur Entrittskarte in die Hollywood-Arena. Dort wurde sie seltsamerweise in die Abteilung "Frauenfilm" gesteckt. Es folgte das Handarbeitsepos Ein amerikanischer Quilt , in dem gleich reihenweise Frauenschicksale verschiedener Generationen in Schmalz und Violinklängen ertränkt wurden. Das feministisch engagierte Groschenroman-Format dieses Films ließ für die Zukunft schlimmstes befürchten. Mit ihrem neuen Film "Tausend Morgen" bleibt Jocelyn Moorhouse zwar ihrem Grundthema treu, unterwirft sich aber erfreulicherweise nicht mehr derart bedingungslos den amerikanischen Kitschkonventionen
Tausend Morgen ist nach einem Roman von Jane Smiley entstanden, die hat wiederum zentrale Motive bei Shakespeares "King Lear" ausgeliehen, und der hat bekanntlich immer noch das beste Händchen für dramatische Konstellationen.
Der alte Farmer Larry Cook (Jason Robards) trifft eine steuersparende Entscheidung. Zur Überraschung von Familie und Nachbarschaft überschreibt er noch zu Lebzeiten den gesamten Grundbesitz zu gleichen Teilen seinen drei Töchtern. Rose (Michelle Pfeiffer) und Ginny (Jessica Lange) leben mit Mann und Kind nur ein paar Meter entfernt vom väterlichen Haus. Die jüngere Schwester Caroline (Jennifer Jason Leigh) hingegen hat sich als Anwältin in der nahegelegenen Stadt niedergelassen. Sie ist es, die vorsichtige Bedenken gegen die Daddys Entscheidung äußert. Schwer gekränkt enterbt der Patriarch seine Lieblingstochter, setzt Rose und Ginny als Alleinerbinnen ein und zieht sich aus dem landwirtschaftlichen Tagesgeschäft zurück.
Der selbstgewählte Ruhestand bekommt dem alten Herren gar nicht gut. Immer mißmutiger überwacht er das Treiben auf der Farm vom Fenster aus, fühlt sich als familiärer Alleinherrscher entthront und von seinen Töchtern bevormundet. Trunken pöbelt er die Erbinnen an, denunziert sie bei den Nachbarn und strengt schließlich mithilfe von Tochter Caroline sogar ein Gerichtsverfahren gegen Rose und Ginny an.
Der Streit bringt Familiengeheimnisse zum Vorschein. Was Rose schon lange weiß, wird Ginny erst als schmerzhafte Erinnerung bewußt: nach dem Tode der Mutter hat der Vater beide Töchter jahrelang mißbraucht. Aber auch die Allianz der Schwestern zerbricht, als beide sich in denselben Mann verlieben.
Tausend Morgen benutzt die Erzählform der Familiensaga, um die Zentralfigur des "Big Daddy" mit aller Kraft zu entmachten. Dabei greift Jocelyn Moorhouse das populäre Thema des Kindesmißbrauchs auf, benutzt es aber nicht nur als modisches Accessoire, sondern ist sichtlich um Differenziertheit bemüht. So wird die Vaterfigur keineswegs zum Monster aufgebaut, vielmehr interessiert sich Moorhouse eher für die spezifischen Verdrängungsmechanismen, die sich in der familiären Enge entwickeln. Zweifellos hätte man auf einige dramatische Standard-Effekte verzichten können. Tragische Zuspitzungen im Handlungsverlauf mit Sturm und Gewitter zu kommentieren, ist nicht eben ein origineller Regieeinfall, und das ewige Rauschen der Maisfelder ermüdet irgendwann ebenfalls. Durchgehend überzeugend hingegen die schauspielerischen Leistungen: Jessica Lange, Michelle Pfeiffer und Jennifer Jason Leigh sind hier nahezu ungeschminkt und auffällig konzentriert bei der Arbeit

Martin Schwickert