TEN MINUTES OLDER

Tempus fugit

10 Minuten Zeit von 7 Regisseuren

Die Filmemacher Aki Kaurismäki, Víctor Erice, Werner Herzog, Jim Jarmusch, Wim Wenders, Spike Lee und Chen Kaige wurden eingeladen, sich in zehn Filmminuten zu einem schlichten und zugleich komplexen Thema zu äußern: die Zeit. Der Länge nach vermessen können das nur wenige Minuten oder aber zehntausend Jahre sein. Vielleicht auch beides zusammen. Wie in Herzogs dokumentarischen Beitrag über einen Stamm im Amazonas, der, 1981 entdeckt, innerhalb weniger Wochen von der Steinzeit in die heutige Zivilisation geschleudert wurde und an deren Krankheiten fast zugrunde ging. Zeit heißt vor allem Vergänglichkeit. Víctor Erices Lifeline - einer der eindringlichsten Beiträge - legt Geburt und Tod ganz dicht nebeneinander. Ein Blutfleck breitet sich langsam auf dem Hemd eines schlafenden Neugeborenen aus, während die Kamera durch das frühmorgendliche Treiben in einem spanischen Dorf des Jahres 1940 schweift. Die dringende Notwendigkeit der Rettung des Säuglings steht in produktivem Widerspruch zu ruhigen Poesie der Bilder. In Wim Wenders Zwölf Meilen bis Trona entrinnt ein junger Mann nach einer unfreiwilligen Drogenüberdosis nur knapp dem Tod. Raum und Zeit dehnen sich in kalifornischer Wüstenlandschaft zu einem psychedelischen Trip. Alle Zeit der Welt hatte schon immer der Finne Aki Kaurismäki. Sein Dogs Have No Hell - offensichtlich in einer Drehpause von Der Mann ohne Vergangenheit entstanden und mit dem gleichen Schauspielerpersonal bestückt - erzählt in üblich stoizistischer Manier die Liebesgeschichte zwischen einer Küchenangestellten und einem Haftentlassenem. Selbst im Kurzfilmformat schafft es Kaurismäki, seine Gesprächspausendramaturgie kunstvoll auszuloten. Ganz anders Spike Lees We Wuz Robbed , der in schnell geschnittenen Interviewpassagen die entscheidenden Minuten im Wahlkrimi zwischen Al Gore und George W. Bush rekonstruiert. In Form eines filmischen Pamphlets tritt die politische Wirklichkeit zwischen all die verträumt philosophischen Betrachtungen der Regiekollegen.

Martin Schwickert