»TGV-EXPRESS«

Bus Stop

Stagecoach in Afrika

TGV heißt in Frankreich, was sich hierzulande ICE nennt. Im afrikanischen Senegal ist der TGV jedoch kein Hochgeschwindigkeitszug, sondern ein buntbemalter Kleinbus, der seinem Fahrer Rambo (Makéna Diop) als einzige Einkommensquelle dient. Die gewohnte Tour über die unwegsamen Straßen von Dakkar nach Conakry im benachbarten Guinea droht diesmal jedoch zu platzen. An der Grenze befindet sich der Stamm der Bassari im Aufstand und die Hauptverkehrsroute ist gesperrt.
Schon vor der Abfahrt künden Flüchtlingsströme und Militärkolonnen vom nahen Bürgerkrieg. Trotzdem macht sich Rambo mit einem harten Kern von Passagieren über sandige Nebenstraßen auf den Weg ins Grenzgebiet. An Bord befindet sich ein bunter Querschnitt durch die senegalesische Gesellschaft: ein flintenbewaffneter Bauer, der seine Schafe in der Stadt gegen eine neue (fünfte) Ehefrau eintauschen will, ein Drogendealer mit dunkler Vergangenheit, eine geheimnisvolle Mannequin-Schönheit, eine beherzte Witwe und nicht zuletzt zwei rivalisierende Fetischpriester, die zur Kühlwassergewinnung in einen Regenmacher-Wettstreit treten.
Unterwegs liest das klapprige Gefährt noch einen flüchtenden Ex-Minister samt Gattin und Handy auf, sowie ein französisches Ethnologenpärchen, das sich auf der Suche nach afrikanischer Frühgeschichte in der Steppenlandschaft verirrt hat und durch postkoloniale Besserwisserei unangenehm auffällt. Rambo hat alle Hände voll zu tun, die Spannungen der Reisegesellschaft unter Kontrolle zu halten. Als der Bus schließlich von den Rebellen gekapert wird, scheint eine Eskalation unvermeidlich .
Zwischen exemplarischen Kammerspiel und entspanntem Roadmovie zeichnet Regisseur Moussa Touré in TGV-Express ein Bild der afrikanischen Gesellschaft, die zwischen Moderne und Tradition zu zerbrechen droht. Bürgerkrieg, Drogenkriminalität, religiöse Opferrituale, patriarchale Polygamie und aufkeimende Frauenemanzipation - die Widersprüche prallen in der Enge des Kleinbusses ungedämpft aufeinander, ohne dass daraus ein politisches Trauerspiel wird. Mit leichter Hand und viel Sinn für skurrile Details inszeniert Moussa Touré ein panafrikanisches Roadmovie, das auch optisch durch seine prall-bunte Farbgebung und erlesene Landschaftsaufnahmen überzeugt.

Martin Schwickert