The Cut

Die Reise

Fatih Akins Melodram über den Völkermord an den Armeniern scheitert großartig

Schon die Ankündigung, dass Fatih Akin beim Festival in Venedig einen Film über den Völkermord an den Armeniern präsentieren werde, hat dem Regisseur Morddrohungen von türkischen Nationalisten eingebracht. Der Genozid, der während des Osmanischen Reiches zu Beginn des Ersten Weltkrieges verübt wurde, ist in der Türkei bis heute ein Tabu-Thema - eines das auch den in Deutschland aufgewachsenen Regisseur Akin nicht losgelassen hat.

Dabei ist sein Film The Cut alles andere als ein politisches Pamphlet oder eine in Film gegossene historische Analyse. Der Völkermord wird hier als geschichtliches Faktum verhandelt, vor dessen Hintergrund die Leidensgeschichte des armenischen Dorfschmieds Nazaret Manoogian (Tahar Rahim) erzählt wird. Eines Nachts wird er von türkischen Soldaten abgeholt und muss seine Frau und die beiden Zwillingstöchter zurücklassen. Aber die Armenier werden nicht wie angekündigt zum Militärdienst eingezogen, sondern als Zwangsarbeiter zum Straßenbau eingesetzt, bis ein Kommando die ausgezehrten Männer abholt und ihnen am Straßenrand die Kehle durchschneidet. Nazaret überlebt, weil der Mann der ihn ermorden soll, ihm nur in den Hals sticht und den Schwerverletzten in der folgenden Nacht rettet. Aber das Messer hat die Stimmbänder durchtrennt, wodurch Nazaret für immer stumm bleiben wird. Er hört von den Massakern und Deportationen in seinem Dorf, denen auch seine Familie zum Opfer gefallen sein soll. Ihm gelingt die Flucht durch die Wüste über die syrische Grenze, wo ein Kaufmann ihn aufnimmt und er nach dem Ende des Krieges erfährt, dass seine Töchter noch am Leben sein sollen. Der Vater macht sich auf die Suche, die ihn zunächst in den Libanon, später nach Kuba, Florida, Minneapolis bis hoch nach North Dakota führt.

Fatih Akin füllt das epische Erzählformat in ganzer Breite aus. Über 138 Filmminuten dauert die Odyssee des armenischen Dorfschmieds, der den Völkermord überlebt, in die Diaspora flüchtet und auf der Suche nach seinen Töchtern durch die Weltgeschichte treibt. Es ist ein gewagtes Unterfangen, denn vom Genozid und seinen Folgen wird hier in großen Westernbildern und ohne Angst vor melodramatischen Gesten erzählt. Immer wieder sieht man den Mann mit dem biblischen Namen durch die weite Dürre von Wüsten- und Bergpanoramen wandern. Fast schon als Passionsgeschichte ist die Reise des stummen, hartnäckigen Helden angelegt, auf der sich Gewalt und Mitmenschlichkeit immer wieder die Waage halten.

Es ist ein monumentales Unterfangen, das man aufgrund seiner cineastischen Willenskraft bewundern muss und das gleichzeitig in seiner allzu klassischen Erzählweise enttäuscht. Akin schafft großartige Kinobilder und gibt ihnen auch genügend Zeit, ihre Wirkung zu entfalten. Allerdings hinkt die Narration dem visuellen Anspruch deutlich hinterher, auch weil der positive Ausgang der aussichtslos erscheinenden Reise mehr als vorhersehbar ist.

Der Wille zur Größe schließt eben immer das Risiko des Scheiterns mit ein und Fatih Akin ist neben Tom Tykwer einer der wenigen deutschen Regisseure, die dieses Risiko überhaupt eingehen.

Martin Schwickert

D/F/POL/TK/I/Kanada/Russland 2014 R&B: Fatih Akin K: Rainer Klausmann D: Tahar Rahim, Simon Abkarian, Makram J. Khoury. 138 Min.