»A TICKLE IN THE HEART«

Klezmer in Florida

Ein Dokumentar-Film über die Epstein-Brüder aus Brooklyn

Die Kamera fährt an immer gleichen Bungalows vorbei, in deren Einfahrt die immer gleichen amerikanischen Mittelklasse-Wagen geparkt sind. Das Wetter ist fantastisch, im Hintergrund sieht man zwei Plastik-Flamingos, und aus dem Off tönt die traurigste, rauheste Klezmer-Musik, die sich denken läßt. Hätte Stefan Schwietert seinen Film nicht klugerweise in Schwarzweiß gedreht, wäre der Kontrast kaum auszuhalten.
Erzählt wird die Geschichte der inzwischen steinalten Epstein-Brüder, dreier Juden aus Brooklyn, die seit ihrer Jugend Tanzmusik, jüdische Musik und Klezmer-Musik spielen.
Sie haben sich längst ins schöne Florida zurückgezogen, ins Rentnerparadies (oder "god's waitingroom", wie man dort sagt) und wurden von der seit einigen Jahren einsetzenden Klezmer-Welle ziemlich überrascht. Für sie und ihresgleichen war "Klezmer" immer Bettlermusik, Straßenmusik der Hinterhöfe, und jemanden "Klezmer"-Musiker zu nennen, war eine Beleidigung.
Aber den drei alten Herren, die da bei ihrer Arbeit gezeigt werden, ist es auch offensichtlich ziemlich egal, wie man ihre Musik nennt. Sie ist einerseits nichts weiter als Musik, andererseits die tiefste Verbindung zum Herzen und zur Vergangenheit. Die bewegensten Momente hat A Tickle in the Heart denn auch nicht während seiner etwas gezwungen sentimentalen Reise der Brüder in ihr altes Heimatstädtchen Pinsk, wo sie vergebens ihr Vaterhaus suchen. Nein, wirklich anrührend wird der Film, wenn die drei kreglen Alten ihre Musik vor hunderten von gut gebräunten, sehr gut gekleideten Florida-Rentnern spielen; es handelt sich um einen Auftritt im Club der "Holocaust-Überlebenden". Und plötzlich wirkt der Kontrast zwischen Plastik-Flamingo, Sonnenbräune und osteuropäisch klagender Klarinette gar nicht mehr grotesk, sondern tragisch. Ein Effekt, der sich bei diesem ansonsten erstaunlich ahistorischen Film selten einstellt.
Was die drei Brüder erzählen, wie sie miteinander streiten und musizieren, das ist schön festgehalten (auch auf einer guten Tonspur). Die Bedeutung der Musik hingegen erschließt sich mehr aus ihrer Wirkung. Aber das muß ja kein Nachteil sein.

Victor Lachner