Timbuktu

Spiel ohne Ball

Ein unaufgeregter Film über islamistische Terrorherrschaft

Ein staubiger Platz am Rande der Wüste. Ein Dutzend Jungs in Sportkleidung läuft zwischen den beiden Toren herum. Einer trägt ein Messi-Trikot und hebt die Hand als Zeichen dafür, dass er frei steht. Sein Mitspieler holt aus und passt. Dass hier gar kein Ball auf dem Spielfeld ist, scheint niemanden zu stören. Ein Motorrad mit zwei bewaffneten Männern nähert sich und umkreist das Spielfeld, wo die, die eben noch mit vollem Einsatz ihre Fußballpantomime vollführt haben, nun zu gymnastischen Übungen übergegangen sind. Denn sie wissen, dass Fußballspielen nach den Gesetzen der neuen Machthaber verboten ist, genauso wie rauchen, Musik oder Gelächter. Timbuktu im Sommer 2012: Islamistische Dschihadisten haben die Stadt im Norden Malis erobert und versuchen ihre Vorstellungen von einem gottesfürchtigen Leben mit Gewalt durchzusetzen. Jeden Tag werden neue Verbote über Megaphon bekannt gegeben. Die Menschen sind eingeschüchtert und huschen an den Männern mit ihren Maschinengewehren vorbei. Aber manche wollen die Gängelei nicht mehr hinnehmen. Die Fischverkäuferin lehnt es ab, neben Schleier und Strümpfen nun auch noch Handschuhe bei der Arbeit tragen. Eine Mutter weigert sich, ihre Tochter mit einem Dschihadisten, der nicht einmal ihre Sprache spricht, zu verheiraten. Und die Jungs auf dem Bolzplatz spielen eben zur Not auch ohne Ball.

In einem Zelt am Rande der Stadt lebt Kidane mit seiner Frau Satima, ihrer gemeinsamen Tochter Toya und dem 12jährigen Waisen Issan. Nur manchmal kommen hier die Soldaten mit ihren Pick-Ups vorbei und eigentlich nur, weil einer von ihnen ein Auge auf Satima geworfen hat. Als eine von Kidanes Kühen das Netz des Fischers zertrampelt, führt das zu einem Streit mit tödlichen Folgen. So gerät auch Kidane in die Mühlen der islamistischen Rechtssprechung und die Sharia kennt für Fälle wie seinen keine Gnade.

In Timbuktu zeigt Abderrahmane Sissako auf Augenhöhe, wie Dschihadisten ihre Herrschaft durchsetzen und welche drastischen Auswirkungen das auf die Bevölkerung hat. Sissako findet dabei eine unspektakuläre Herangehensweise an das Thema, das durch den Eroberungskrieg des Islamischen Staats beklemmende Aktualität entwickelt. Er verschweigt keineswegs die menschenverachtende Brutalität der Sharia, nach der unverheiratete Liebespaare gesteinigt und nächtlicher Gesang mit vierzig Peitschenhieben bestraft wird. Aber er stellt die Gewalt nicht aus, findet auch im repressiven Alltag immer wieder humorvolle und poetische Töne, zeigt die Menschen immer als Menschen und nie nur als Täter oder Opfer.

Martin Schwickert

F/Mauret. 2014 R: Abderrahmane Sissako B: Abderrahmane Sissako, Kessen Tall K: Sofian El Fani D: Ibrahim Ahmed dit Pino, Toulou Kiki, Abel Jafri. 97 Min.