TONY TAKITANI

Stiller Junge
Eine gelungene Haruki Murakami-Verfilmung

Der Vater dachte, es sei eine gute Idee, seinen Sohn Tony zu nennen. Schließlich hatten die Amerikaner nach dem Krieg in Japan das sagen. Aber die Kinder in der Schule lachten den Jungen aus und die Erwachsenen rümpften die Nase. Er habe eine einsame Kindheit gehabt, berichtet Tony aus dem Off. Die Mutter starb kurz nach der Geburt, der Vater reiste als Jazz-Musiker durch die Welt, und die Haushälterin hat Tony irgendwann einfach weggeschickt, und so war er mit dreizehn Jahren schon ein Alleinstehender.
Tony ist ein leidenschaftlicher Zeichner. Die Leidenschaft erkennt man weder in seinem Gesicht noch in seinen Bildern. Das Bild ist gut, aber es fehlt die Körperwärme, sagt die Lehrerin an der Kunsthochschule zu seiner ersten Aktzeichnung.
Tonys Leidenschaft ist die Präzision. Wenn die anderen ein Blumenstillleben malen, hat Tony nur ein einziges Blatt mit all seinen mikrofeinen -derchen gezeichnet. Tony ist kein unglücklicher Mensch. Er hat sich in seiner Einsamkeit eingerichtet und sie nach dem eigenen Geschmack möbliert.
Tony Takitani ist eine Figur von Haruki Murakami, dessen Romane wie Mr. Aufziehvogel oder Naokos Lächeln seit einigen Jahren auch in den deutschen Buchläden boomen. Murakami-Fans werden die Nase rümpfen, denn zurecht gehörte der japanische Autor, dessen Romane oft von den Innenansichten seiner zur Außenwelt unvollständig verbundenen Figuren leben, in die Kategorie äbesonders unverfilmbarô.
Aber Regisseur Jun Ichikawa hat sich trotzdem an eine Erzählung Murakamis herangewagt und gewonnen. Die Methode ist einfach, aber effektvoll. Ichikawa bewahrt die literarischen Qualitäten des Originals in einem Off-Kommentar. Im westlichen Kino ist das Voice Over als altmodisches Narrationsmittel verpönt. Zu oft hatten sich Regisseure ins Off geflüchtet, wenn sie nicht in der Lage waren, ihre Geschichte auf der Bildebene zu erzählen. Ichikawa macht aus der Not eine Tugend. Denn der melancholische Off-Kommentar, der aus Murakamis Erzählung zitiert, befreit die Bilder von der Last der Narration, so dass sie ihre eigene, unabhängige Poesie entwickeln können.
Die Kamera nimmt sich die Zeit, die mimischen Nuancen im stoischen Gesicht der Hauptfigur zu studieren, verbindet verschiedene Zeitebenen mit ruhigen Schwenkbewegung und findet Motive, die die Worte im Off nicht bloß bebildern, sondern ihnen neue sinnliche Bedeutungsräume öffnen. Wie in einem Fotoalbum blättert sich der Film durch das Leben des Tony Takitani, der sich irgendwann in die schöne Eiko (Rie Miyazawa) verliebt. Ihr Glück wird nur durch einen einzigen Makel getrübt: Eikos Sucht nach Designer-Kleidungsstücken. Ein eigenes Zimmer muss Tony einrichten, um die anschwellende Edel-Klamotten-Sammlung in der Wohnung unterzubekommen. Eikos selbsttherapeutischer Versuch den Kaufrausch zu unterdrücken, endet mit einem tragischen Unglück und Tony findet einen sehr eigentümlichen Weg, mit dem Verlust seiner Frau umzugehen.
Tony Takitani ist ein wunderschönes, lakonisches Porträt eines Eigenbrödlers, ein filmisches Manifest für die menschliche Individualität mit all ihrem Glück und ihren Schmerzen, ein Film, der einen schon nach wenigen Minuten mit seiner konzentrierten Ruhe ansteckt und durch seine optische Brillanz in den Bann zieht.

Martin Schwickert
J 2004. R: Jun Ichikawa. B: Jun Ichikawa, Haruki Murakami. K: Taishi Hirokawa. D: Yumi Endo, Rie Miyazawa, Issei Ogata