»TURBULENCE«

Primatenkino

Ein Serienmörder hebt ab, ein Film landet bruch

Unübersehbar hatte der Schauspieler Ray Liotta in seiner frühen Jugend ein kleines Akneproblem. Aber immerhin hat das vernarbte Gesicht ihm eine bescheidene, wenn auch etwas einseitige Hollywoodkarriere beschert. Ray Liotta ist auf die Rolle des lasziven Bösewichtes abonniert. Seine stechend blauen Augen werden gerne mit der Aura von Verführung und Gefahr versehen. Seine Blicke paralysieren die vornehmlich weiblichen Opfer, bevor sich hinter der freundlichen Fassade das wahre Gesicht des Triebtäters zeigt. Diese Verwandlung hat Ray Liotta gut geübt, nur leider ist damit sein schauspielerisches Potential auch schon erschöpft. In einem Film wie Turbulence wiederum ist ein Mann wie Ray Liotta gut aufgehoben. Denn in diesem Flugzeug-Desaster-Film von Robert Butler würden ohnehin alle schauspielerischen Ambitionen in der Grobmotorik der Inszenierung untergehen.
Es weihnachtet sehr am New Yorker Flughafen, und seit Bruce Willis' Die Hard weiß man, daß sich am Heiligen Abend immer noch am besten ballern läßt. Die Besatzung der Boing 747 auf dem Flug von New York nach L.A. schmückt sich mit hübschen Nikolaus-Mützchen und blinkendem Weihnachtsschmuck. Nur ein paar Last-Minute-Gäste sind an Bord und, in Begleitung einiger Bundesmarschalls, zwei Strafgefangene. Einer von ihnen ist der Serienkiller Ryan Weaver (Ray Liotta), der uns schon in der Eingangssequenz als besonders intelligent, besonders redegewandt und besonderlich gefährlich vorgestellt wurde. Die junge Stewardess Teri Halloren, weiblich, ledig, blond (Lauren Holly) entspricht genau dem Opfer-Profil des Lonely-Hearts-Killers Weaver. Mit klugen Sprüchen und charismatischen Blicken bei der Getränkebestellung visiert der Frauenmörder sein neues Ziel an.
Die anderen Passagiere sind nur von sekundärem Interesse für den Film. Regisseur Robert Butler hält sich nicht lange mit lästigen Charakterstudien von Nebenfiguren auf. Lohnt sich auch nicht, denn nach knapp 20 Filmminuten wird das überflüssige Personal ohnehin niedergemetzelt. Nach einer wilden Schießerei, aus der Weaver siegreich hervorgeht, liegen alle Cops tot und blutig am Boden, im Cockpit lebt nur noch der Autopilot und die wenigen überlebenden Passagiere sperrt der durchgeknallte Ladykiller in den Frachtraum, übrig bleiben nur noch der Täter und sein Opfer.
Die tapfere kleine Stewardess hat nun alle Hände voll zu tun. Zum einen muß sie sich gegen den hyperaktiven Psychopaten zur Wehr setzen, der ihr in alter Shining-Manier mit dem Hackebeilchen nach Leib und Leben trachtet und das Flugzeug über dicht besiedeltem Gebiet zum Absturz bringen will. Zum anderen soll unsere Tery nach ein paar Flugstunden über Funk die Maschine sicher zur Landung bringen. Eine Schlechtwetterfront komplettiert das Chaos, und Spezialisten vom Verteidligungsministerium wollen den Risikoflug ohnehin unter Raketeneinsatz beenden.
Turbulence ist grobschlächtiges Primatenkino. Der Treibstoff für die Handlung ist der Kampf ums nackte Überleben und eine permanente Vergewaltigungsdrohung. Dabei läßt der Film alle Wahrscheinlichkeitskategorien weit hinter sich. Was schlimm ist, kann immer auch noch schlimmer kommen, und damit bewegt sich Turbulence im Trend von Twister, L.D. und Dante's Peak . Je größer das Desaster, desto länger die Schlangen an der Kinokasse. Auch wenn bei der Bruchlandung die Hotelbar im obersten Stock des "Grand Plaza" mit dem Fahrgestellt effektvoll abgeräumt wird, kann Turbulence technisch mit seinen Klassenkameraden nicht mithalten. In einer Zeit, in der Ortschaften unter Lavaströmen begraben, ganze Großstädte in Schutt und Asche geschossen werden, Wirbelstürme Kuhherden durch die Luft fliegen lassen, was ist da noch ein vereitelter Flugzeugabsturz wert?

Martin Schwickert