»TWIN TOWN«

Knülle Kelten

Exzessive Rauschmittel- benutzung, korrupte Polizisten, Pudelmord & Blutrache

Der Dichter nannte Swansea "An ugly lovely town", aber seit Mr. Thomas, oft begleitet von Richard Burton als Zechkumpan, die zahllosen Stammkneipen in und um Swansea checkte, ist einige Zeit vergangen, was man auch daran sehen kann, daß beim städtischen Nachfolgespruch-Wettbewerb der Slogan "Pretty shitty city" gewann, der ja eine geringfügig andere Kernaussage hat. Erdacht wurde der Sieger-Spruch von Paul Durden, der gemeinsam mit Regisseur Kevin Allen das Drehbuch zu Twin Town schrieb, und "Pretty shitty city" sollte ursprünglich der Titel des Filmes sein, der jetzt Twin Town heißt. Die Titeländerung ist sinnvoll, denn obwohl der Film in einer ziemlich beschissenen Stadt spielt, sind die Zwillinge doch das Wichtigste, auch wenn sie keine Zwillinge sind, sondern nur so genannt werden.
Jeremy und Julian Lewis sind Geschwister. Wenn sie nicht gerade gestohlene Autos zu Schrott fahren oder sich von ihrem Vater Ermahnungen anhören, nicht immer den teuren Modellbau-Kleber zu schnüffeln, ruhen sie sich im heimatlichen Wohnwagen von anstrengenden illegalen Freizeitbeschäftigungen aus oder probieren in der Badewanne, wer am längsten die Luft anhalten kann.
Der Vater, ein alter Mann, der vom Meer träumt, arbeitet bei Swanseas Provinz-Paten Bryn Cartwright auf dem Bau, ohne Krankenversicherung, und als er von der Leiter fällt und sich verletzt, weigert sich Cartwright, eine angemessene finanzielle Entschädigung zu zahlen, was die Zwillinge sehr wütend macht. Quasi als Warnung pinkeln sie der Cartwright-Tochter bei einem Karaoke-Wettbewerb auf den Kopf, wofür sie von den ziemlich korrupten Polizisten Terry und Greyo eine Tracht Prügel beziehen. Als angemessenen Gegenschlag köpfen die Zwillinge den Pudel der Cartwrights, worauf der korruptere Polizist Terry einen Brandanschlag auf die Promenadenmischung der Familie Lewis verübt, dem die gesamte Familie außer Hund und Zwillingen zum Opfer fällt. Die Zwillinge, in der Unglücksnacht aushäusig, sinnen auf adäquate Rache...
Twin Town ist nicht unbedingt ein Film, der traditionelle Werte transportiert, außer vielleicht, daß man den letzten Wunsch eines Vaters respektieren sollte. Die Helden sind die ganze Zeit breit, sie vergreifen sich nicht nur an anderer Leute Eigentum, sie zerstören auch Natur, indem sie mit einem Sportwagen Rasenflächen durchpflügen. Gewalt gegen Sachen, Gewalt gegen Menschen: es ist ihnen egal, Hauptsache es macht Spaß und hat einen gewissen abseitigen Stil. Genauso verhält es sich mit dem Film. Ich traf Kollegen, die ehrlich und sehr empört waren über den Nihilismus und den Krawall und die Ziellosigkeit, denn tatsächlich: Twin Town hat keine Botschaft außer der, daß Polizisten keine größeren Rauschgiftgeschäfte machen sollten und daß Großzügigkeit manchmal vor ernsteren Schäden behütet.
"Erstens: Ich bin Waliser", hat sich Dylan Thomas einmal seinem Publikum vorgestellt, "zweitens: Ich bin ein Trunkenbold." Genauso verhält es sich auch mit Twin Town . Das ganz besondere Lokalkolorit verbindet sich mit einem unbedingten Willen zum Rausch zu einer Art Endspielstimmung: eine wichtige Entscheidung steht bevor, wie sie ausfällt ist egal, Hauptsache sie dient als Anlaß für exzessive Handlungen. So gesehen, ist Twin Town dem Dichtersohn des Städchens Swansea würdig, jedenfalls den ersten beiden Sätzen seiner Vorstellung. Dem letzten aber keineswegs. Der lautet: "Drittens: Ich bin ein Liebhaber der menschlichen Rasse."

Jens Steinbrenner