»TYKHO MOON«

Asche und Staub

Der Comic-Meister hinter der Kamera: Enki Bilals zweiter Spielfilm.

Eine Zukunftswelt, nicht gerade gemütlich: heruntergekommene Gebäude in einer schmutzigen Stadt, die wie ein collagiertes Postkarten-Paris aussieht. Sehenswürdigkeiten wie Eiffelturm und Triumphbogen sind zwar da, aber irgendwie nicht an ihrem Platz. Die Stadt wird durch eine Mauer geteilt, in der einen Hälfte lebt unser Held (Johan Leysen) in einem lichtlosen Keller und bearbeitet einen großen Stein mit Hammer und Meißel, wie ein Bildhauer. Auf der anderen Seite wohnt der Diktator (Michel Piccoli) und sorgt sich um sein Leben. Der Diktator ist krank, lange schon, und bereitet seine Unsterblichkeit vor. Seit der letzten großen Transplantation sind viele Jahre vergangen. In der Zwischenzeit hat ihm das Schwein Napoleon geholfen, aber jetzt braucht er seinen Spender von damals. Doch der ist untergetaucht. Der Diktator, immer beraten von seiner dekadenten Familie und seinem wahnsinnigen Leibarzt (Jean-Louis Trintignant), setzt seinen Geheimdienst Triplax in Bewegung, Tykho Moon zu suchen, den Spender von damals.
Tykho Moon ist eine Legende, es kursiert ein verbotenes Buch über ihn, und sein einziges verfügbares Bild - es zeigt ihn mit vollständig bandagiertem Gesicht - bedeckt als Steckbrief bald die Mauern der Stadt.
Unser Held - es ist natürlich Tykho Moon - muß untertauchen, wechselt die Seiten und steigt in einem Luxushotel ab, weil er eine Zimmerreservierung hat. Die stellt sich bald als gefälscht heraus, weshalb der Held nicht mehr in der Schlafkabine wohnen darf, sondern mit der Wanne im Gemeinschaftsbad vorlieb nehmen muß. Er verliebt sich in eine Hure (Julie Delpy), die womöglich für die Triplax arbeitet, und ein geheimnisvoller Amerikaner (Richard Bohringer) gibt ihm wertvolle Ratschläge. Die Familie des Diktators wird bei Mordanschlägen dezimiert, alte Romanzen, Verbindungen und Verbindlichkeiten gewinnen an Bedeutung. Am Ende ist das Rätsel des Schauplatzes gelöst, die Zukunft des Helden scheint klar zu sein, und der Amerikaner bleibt im Tunnel zurück.
Enki Bilal ist Comiczeichner und -autor (in den siebziger und achtziger Jahren einer der wichtigsten Frankreichs), seine Bilder sind düster: kräftige Farben, starke Striche, viel Grau. Seine Figuren haben große Münder und deutliche Gesichtszüge. Seine Themen sind phantastisch, verbunden mit durchaus handfesten Inhalten. Es geht um Umweltverschmutzung, Militärversuche, Ausbeutung und Macht. 1980 hat Enki Bilal das Plakat zu Alain Resnais' Film Mon Oncle d'Amérique gezeichnet, 1983 war er am Set-Design für La Vie est un Roman , auch von Resnais, beteiligt. Tykho Moon ist Bilals zweiter Film, der erste, Bunker Hill , ist in Deutschland nicht zu sehen gewesen.
Tykho Moon sind die Comic-Wurzeln seines Schöpfers deutlich anzusehen. Die gleichen Raubvogelphysiognomien, die gleichen unwirklich-bedrängenden Dekors, die gleichen extremen Charaktere und nicht zuletzt der gleiche absurde Humor. Und auch die gleiche Neigung zu verrätselten Geschichten. In Tykho Moon dauert es ziemlich lange, bis der Zuschauer ungefähr weiß, worum es geht. Bis dahin ist der Film zwar ansehenswert (wegen der schön staubigen Bilder), aber auch etwas genervt: man hat das Gefühl, daß einem wichtige Informationen mutwillig vorenthalten werden. Kein gutes Gefühl. Wenn die Geschichte dann aber in Schwung gekommen ist, wird es richtig nett, manchmal sogar spannend. Und dann machen die kleinen Ausstattungs- und sonstigen Gags erst richtig Spaß, die kleinen roten Kreuze auf den Pumps der Krankenschwestern, die eigenartige Stimmung und die hohlen Sprüche des Dikators ("Die Chirurgie meines Körpers ist geopolitisch") - dann erreicht Tykho Moon auch endlich die Qualität von Bilals Comics. Endlich. Und geradeso nicht zu spät.

Jens Steinbrenner