»DER KLEINE UNTERSCHIED«

Mit Stumpf und Stil

Aus Karl wird Kim - und das ohne Klamauk-Gags

Ein Taxi knallt in der Londoner Innenstadt mit einem Motorrad zusammen. Nachdem Taxifahrer und Byker lautstark Schuldzuweisungen ausgetauscht haben, wird der Motorrad-Bote Paul Prentice auf den Fahrgast aufmerksam. Verwirrt starrt er sein Gegenüber an und glaubt in dem Gesicht seinen früheren Schulfreund Karl zu erkennen. Karl hat sich grundlegender verändert als andere Klassenkameraden. Karl heißt auch nicht mehr Karl, sondern Kim, denn aus dem hübschen Jungen von damals ist eine gutaussehende Frau geworden. "Postoperative Transsexuelle", so lautet die exakte Umschreibung, mit der sich Kim später gegenüber Paul im Raster sexueller Identitäten einordnen wird. Zunächst aber ergreift sie die Flucht, denn an ihre voroperative Vergangenheit möchte Kim nicht mehr erinnert werden. Pauls Irritation ist ebenso groß wie seine Neugier, und so spürt er ihr nach, nötigt sie mit roten Rosen der alten Freundschaft willen zu einem ersten Date.
Mit erfrischender Leichtigkeit erzählt der britische Regisseur Richard Spence seine verzwickte Liebesgeschichte und rückt dabei dem "Thema" Transsexualität überraschend vorbehaltlos auf den Leib. Der Film meidet dabei die Schablonen, mit denen Tunten, Transvestiten und Transsexuelle üblicherweise beschrieben werden. Anders als z.B. in der deutschen Beziehungskomödie dient hier der zur Frau gewandelte Mann nicht als schrille Beilage zu den festgefahrenen Balzkonflikten zwischen Männlein und Weiblein. Kim (Steven Mackintosh) ist keine dieser bunten Pfauengestalten wie man sie aus heterokompatiblen Tuntenspektakeln a la "Ein Käfig voller Narren" kennt. In melancholischer Zurückgezogenheit lebt sie in ihrem spießigen pastellfarbenen Appartment und versucht, so gut es eben geht, den Klischees des neugewonnenen Frauseins zu entsprechen. Kim will um keinen Preis auffallen, während Paul (Rupert Graves) in seiner schmuddeligen Byker-Kluft der Welt als provozierendes Rauhbein entgegentritt.
Für einen echten Kerl wie Paul ist es schon ein harter Brocken, daß er sich in eine Frau verliebt, die vor nicht allzu langer Zeit noch ein Mann gewesen ist. Ungewohnt direkt und ebenso humorvoll wird hier die Geschlechterdifferenz unter neuen Vorzeichen ausgefochten. Als Kim von ihrer Geschlechtsumwandlung erzählt, wie sie i h n damals bei der Operation "mit Stumpf und Stil" herausgenommen haben, verschlägt es dem von Kastrationsängsten geplagten Paul schon ein wenig den Appetit. Genüßlich inszeniert der Film die Unterschiedlichkeit der Charaktere und die Verwirrungen im Annäherungsprozess: "Ich bin Hetero" sagt Paul, als Kim ihm zu nahe kommt. "Genau wie ich", antwortet diese süffisant.
Das Schöne am Kino ist, daß das Unmögliche möglich gemacht werden kann. Und so schiebt Der kleine Unterschied mit leichter Hand die klar definierten Grenzen zwischen Homo- und Heterosexualität beiseite und gibt den Weg frei für eine Romanze, die im Publikum - über große und kleine Unterschiede hinweg - Gefallen finden dürfte.

Martin Schwickert