VANILLA SKY

Der Prinz als Frosch

Tom Cruise kann auch anders

Spätestens seit dem Erfolg von The Sixth Sense liebt man in Hollywood knifflige Schlusswendungen, die die Realitätsebenen final verschieben und das Gesehene noch einmal über den Haufen werfen. The Others von Alejandro Amenábar - gerade in den Kinos angelaufen - gehört ebenfalls zum neuen Genre der Rückwärtslesefilme. Bereits 1997 hatte Amenábar in Abre Los Ojos (Öffne Deine Augen) dieses Erzählprinzip erprobt und gerade einmal vier Jahre später legt Regisseur Cameron Crowe ( Almost Famous ) nun mit Vanilla Sky ein Remake des Stoffes im Hollywood-Format vor. Dabei wurden Szenenfolgen und Dialoge des spanischen Originals weitgehend übernommen und mit Penèlope Cruz sogar dieselbe Hauptdarstellerin engagiert. Öffne Deine Augen säuselt zu Beginn von Vanilla Sky eine Frauenstimme aus dem Off. Traue ihnen nicht! fügt der Film in den folgenden Szenen hinzu.
Niemand kann so selbstzufrieden in den Spiegel schauen wie Tom Cruise. Er spielt David Aames, der von seinem Vater ein Verlagsimperium geerbt hat und den der Reichtum in den Zustand wohliger, innerer Leere versetzt hat. Zu Beginn des Films rupft der 33jährige Playboy sich ein einzelnes graues Haar heraus, greift zu Rolex und Autoschlüssel, steigt in seinen Porsche und fährt hinaus ins morgendliche Manhattan. Erst nach ein paar Straßenzügen merkt man, dass die Stadt, die niemals schläft, völlig verwaist ist. Sogar der Times Square ist menschenleer. Panik kommt auf. Die Kamera krant hoch und lässt David allein zwischen all den neonbunten Werbebannern auf dem Platz und im Universum zurück. Öffne Deine Augen! sagt die Stimme noch einmal. Alles war nur ein Traum. David ist nicht allein. Weder im Universum noch im Bett. Seine letzte Eroberung ist Julie (Cameron Diaz). Die beiden unterhalten eine moderne, sexuelle Gelegenheitsbeziehung. Damit ist es vorbei, als sein Freund Brian (Jason Lee) zu Davids Geburtstagsparty Sofia (Penélope Cruz) mitbringt. Liebesmagnetische Kräfte walten. David und Sofia verbringen eine romantische, sexlose Nacht miteinander. Am Morgen danach steht Julie vor der Haustür. David steigt in ihr Auto. Vorwürfe, Tränen und eine Fahrt mit Vollgas in den Tod. David überlebt den Unfall mit einem unschön entstelltem Gesicht und schmerzendem Hirn. Er zieht sich aus seinem wilden Junggesellenleben zurück, und auch Sofia wendet sich zunächst von ihm ab. Die Ärzte verpassen ihm eine Maske. Wie durch ein Wunder beginnt sein Gesicht darunter zu verheilen, und auch dem Glück mit Sofia scheint nichts mehr im Wege zu stehen.
Das alles ist Vergangenheit und wird in Rückblenden erzählt. In der Gegenwart sitzt David unter Mordanklage im Gefängnis und erzählt einem Gerichtspsychiater (Kurt Russell) aus seinem wirren Leben, in dem sich die Grenzen zwischen Wunsch, Wirklichkeit und Albtraum aufgelöst haben. Aber Cameron Crowe ist nicht David Lynch und Vanilla Sky ist, anders als Mulholland Drive , kein tiefenpsychologisches Labyrinth, sondern eher ein modernes Märchen, in dem sich der Prinz nach dem Kuss in einen Frosch verwandelt und aus der Froschperspektive seine Menschenexistenz hinterfragt. Ein Verwirrspiel, aber eines mit Moral und finalem (Er-) Lösungsangebot. Verglichen mit Amenábars kühl inszeniertem Original, in dem die Figuren wie auf einem Schachbrett bewegt werden, ist Crowes Hollywood-Remake deutlich menschenfreundlicher ausgefallen. Tom Cruise verlässt sich hier nicht nur auf seinen aalglatten Charme, sondern arbeitet überraschend nuanciert gegen das Klischee des verwöhnten Millionärssohnes an. Auch die Figur der Julie - im Original eindimensional als eifersüchtige Schlampe angelegt - bringt Cameron Diaz in kurzen, prägnanten Auftritten zum Leuchten. Penélope Cruz hingegen wird auch in diesem Hollywood-Film ihr Image als exotischer Importartikel nicht los und wirkt als männliches Wunschbild naturbelassener Weiblichkeit deutlich unterfordert.

Martin Schwickert

USA 2001 R&B: Cameron Crowe nach dem Film Abre Los Ojos von Alejandro Amenábar K: John Toll D: Tom Cruise, Penélope Cruz, Cameron Diaz