VANITY FAIR - JAHRMARKT DER EITELKEITEN

Kalt nach oben
Reese Witherspoon kämpft sich durch

Ich dachte immer, sie sei bloß eine Aufsteigerin", sagte eine feine Dame der Gesellschaft über Becky Sharp, die Heldin von Vanity Fair. Aber sie ist eine Bergsteigerin.
Treffender hätte William Makepeace Thackerays die Heroine seines großen Gesellschaftsromans kaum beschreiben können: geboren im 19ten Jahrhundert als Tochter eines alkoholkranken Malers und einer Mutter, die sie nie kannte, strebt Becky nach sozialem Aufstieg oder zumindest ausreichend Geld, um sich um so etwas wie einen Titel keine Sorgen machen zu müssen. Ihr Weg vom armen Kind, zur Gouvernante bis hin zur Frau eines Soldaten und schließlich, nach Umwegen, an ihr Ziel, mag ein steiniger sein, Bauernschläue, Bildung und eine gehörige Portion Sex-Appeal sorgen jedoch dafür, dass Becky immer wieder auf beiden Füßen landet. Sie zahlt einen Preis - ob der zu hoch ist, muss der Zuschauer selbst entscheiden.
Nicht jede Jungschauspielerin passt so ohne weiteres ins Korsett einer solchen Rolle. Reese Witherspoon, im Laufe ihrer Karriere auch nicht gerade durch einen Mangel an Ehrgeiz aufgefallen, füllt sie allerdings aus, als sei sie hineingeboren worden. Selbst hinter ihrem süßesten Lächeln kann man noch die Zahnräder ihres übereifrigen Gehirns knirschen hören, und selbst ihre Liebe zu ihrem unglücklicherweise enterbten Ehemann scheint davon geprägt, dass man auch ihn noch ein paar Sprossen auf der gesellschaftlichen Leiter hochbefördern kann.
Regisseurin Mira Nair schwankt mit Vanity Fair zwischen stark humoristischen Einlagen und großen Gefühlen. Dennoch entpuppt sich ihre lebendige Mischung aus betont skurrilen, manchmal fast cartoonhaft komischen Charakteren und leidenschaftlichem Melodrama als erstaunlich effektiv. Vanity Fair platziert sich gekonnt zwischen der staubtrockenen Ernsthaftigkeit eines Merchant-Ivory Films und der emotionalen Tränendrücker-Mentalität einer Miniserie, beweist jedoch ausreichend Originalität, Witz und Lebendigkeit, um ein Publikum zu bedienen, das mit beidem bislang wenig anfangen konnte.

Karsten Kastelan
USA/UK 2004. R: Mira Nair. D:Reese Witherspoon, Romola Garai, James Purefoy, Rhys Ifans, Gabriel Byrne, Jonathan Rhys-Meyers, Bob Hoskins.