»VIEHJUD LEVI«

Sündenbock

Die Nazis mal nicht als Glamour-Staffage

In den Geschichtsbüchern ist der Tag der nationalsozialistischen Machtergreifung mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30.1.1933 genau datiert. In den entlegenen Provinzen setzte sich die Politik der Nazis jedoch erst mit einiger Verzögerung durch. In seinem Theaterstück Viehjud Levi hat Thomas Strittmatter den Prozess der "Machtergreifung" in einer kleinen Schwarzwaldgemeinde beschrieben. Regisseur Didi Danquart hat das Stück nun für die Leinwand adaptiert.
Es beginnt mit einem eingestürzten Tunnel. Zur Reparatur reisen ein paar Bahnarbeiter unter Leitung des Ingenieurs Kohler (Ulrich Noethen) aus der Reichshauptstadt an. Mit ihnen hält der faschistische Geist Einzug in das abgelegene Schwarzwaldtal. Im Gasthof stellt der Wirt widerwillig einen Volksempfänger auf, der Stammtisch wird mit einem kleinen Hakenkreuzfähnchen verziert und die Witze über den Führer erzählt man nur noch hinter vorgehaltener Hand. "Die Bahn, die ist staatlich" sagt Bauer Horger (Gerhard Olschewski) voller Ehrfurcht und verkauft dem Ingenieur sein Kalb weit unter Preis. Dabei hatte er noch wenige Tage zuvor ein weitaus besseres Kaufangebot des Viehhändlers Levi (Bruno Cathomas) ausgeschlagen. Der "Viehjud" ist im Tal ein angesehenen Außenseiter, dem man gleichzeitig mit Sympathie und Distanz begegnet. Allein mit seinem Hasen Jankel reist der kauzige Händler in kaufmännischer Mission durch den Schwarzwald. Besonders Horgers Tochter Lisbeth (Caroline Ebner) hört gern zu, wenn Levi aus der weiten Welt berichtet, und ein wenig verliebt ist sie schon in den eigenwilligen Juden.
Im dörflichen Mikrokosmos zeichnet Didi Danquart mit großer Genauigkeit nach, wie aus dem Außenseiter Levi ein Sündenbock wird. Von den zugereisten Nazis erhofft man sich gute Geschäfte, und vor dem Herrn Ingenieur haben die Leute im Dorf ohnehin Respekt. Hier und dort übt der Nazi-Karrierist Kohler ein wenig Druck aus, die Bahnarbeiter helfen mit ein paar Fausthieben nach, bis sich schließlich alle Dörfler von dem Juden distanziert haben.
Mit erhellender Präzision beschreibt Danquart die Feinmechanik des Antisemitismus und verzichtet dabei auf Überdramatisierungen und gängige Klischees. Danquart interessiert sich für die Psychologie seiner Figuren und deren Manipulierbarkeit. Die knappen Dialoge verbergen nicht ihre Theatervergangenheit, erst die hervorragende Kameraarbeit des Dokumentarfilmers Johann Feindt sorgt für das notwendige cineastische Format. Satte klare Sommerfarben und weite Landschaftstotalen werden gegen die düsteren Ereignisse und die bedrohliche Enge im Dorf gesetzt. Mit seiner schlichten analytischen Schärfe bietet Viehjud Levi das notwendige Gegengewicht zu weichgezeichneten Dritte-Reichs-Dramen ... la Aimeé und Jaguar .

Martin Schwickert