VIER MINUTEN

Frauen mit Vergangenheit

Der Knast als Sinnbild weggesperrter Gefühle

Fast ihr ganzes Leben hat Traude Krüger (Monica Bleibtreu) in diesem Gefängnis verbracht. Nicht in einer Zelle, aber innerhalb der Mauern, die sie freiwillig zum Mittelpunkt ihrer Existenz gemacht hat. Während des Krieges pflegte sie hier als Krankenschwester die Verwundeten und ist danach geblieben. Seit 60 Jahren gibt sie den inhaftierten Frauen Klavierunterricht. Sie bildet sich nicht ein, aus den Gefangenen bessere Menschen machen zu können.
Traude Krüger ist keine Samariterin. Sie hat ihre eigenen Gründe dafür, dass sie an dieser Arbeit festhält. Und die hat sie tief in sich eingeschlossen.
Als sie hört wie Jenny (Hannah Herzsprung) ein paar wilde Akkorde am Piano spielt, erkennt sie das Talent der widerborstigen Gefangenen. Nur um das Talent, das nicht vergeudet werden darf, geht es der Klavierlehrerin, als sie die junge Frau trotz ihrer schlechten Manieren zu unterrichten beginnt.
Jenny wurde von ihren Eltern als Wunderkind gefördert und gefeiert, bis sie auf die schiefe Bahn geriet und zur Mörderin wurde. Sie ist in allem das Gegenteil ihrer reservierten Lehrerin: Wild, unbeherrscht, ein wandelnder Schnellkochtopf, der ständig Dampf ablassen muss, um nicht zu explodieren.
Traude Krüger ist auf eine fast schon zwanghafte Art altmodisch und hoffnungslos in der Vergangenheit verhaftet.
"Kannst du denn einen schönen Kicks?" fragt sie die Tochter des Gefängniswärters, und die weiß gar nicht, was damit gemeint ist. Jennys wilde Jazz-Akkorde - das ist für die strenge Klavierlehrerin immer noch "Negermusik".
In der Vorbereitung auf einen Klavierwettbewerb geraten die beiden Frauen immer wieder aneinander, beginnen aber auch in der dauerhaften Konfrontation sich zu öffnen und lange verdrängte Erinnerungen zu verarbeiten.
Vier Minuten ist ein Film, der auf dem Papier recht schematisch erscheint. Aber Chris Kraus und vor allem seine beiden famosen Hauptdarstellerinnen lösen die Schwarz-Weiß-Zeichnungen der gegensätzlichen Figuren in eine differenzierte, vielschichtige Erzählung auf.
Den Zusammenprall der Generationen setzt Kraus auf engstem Raum in Szene, lässt die Vorurteilstrukturen von Alten und Jungen gegeneinander antreten und zeigt deutlich, dass beide Frauen in erster Linie Gefangene ihrer eigenen Vergangenheit sind.
Auch wenn das Drehbuch es mit der psychologischen Geheimniskrämerei ein wenig übertreibt und die finale Enthüllung nicht so überraschend wie beabsichtigt ausfällt, ist Kraus ein sehr dichtes und spannendes Kammerspiel über zwei sperrige Frauenfiguren gelungen.

Martin Schwickert

D 2006 R&B: Chris Kraus K: Judith Kaufmann D: Monica Bleibtreu, Hannah Herzsprung, Richy Müller