»VOLCANO«

Lava in L.A.

Mit Human touch: Mick Jacksons Katastrophenfilm-Variation

Bestimmte Filme - die großen, teuren, krawalligen nämlich - haben eigentlich nur ein Ziel: die Befriedigung des kindlichen Wunsches nach Zerstörung. Wieviele Filme gibt es, die davon handeln, wie etwas gebaut wird? Und wieviele Filme, in denen kaputtgemacht wird, zerschlagen, gesprengt, in Grott und Mott gefahren? Und wieviele Menschen sehen sich was an? Also!
Hier erwischt es eine ganze Stadt: Los Angeles. Drehbuchautor Jerome D. Armstrong hatte in einem wissenschaftlichen Artikel über die Struktur der Erdkruste gelesen, daß der Großraum Los Angeles von vulkanischer Aktivität betroffen sein könnte. Das reichte aus, um im Kopf des Schreibers eine Zerstörungsorgie größeren Ausmaßes auszulösen. Und das ist dabei herausgekommen:
Der Held heißt Mike Roark (Tommy Lee Jones) und ist der Chef der Notfallzentrale von Los Angeles, einer städtischen Institution, die bei Naturkatastrophen und ähnlichen Zwischenfällen tätig wird. Roark ist wie die meisten Film-Helden seit Dirty Harry ein gebrochener Held: zwar sehr gut in seinem Job, aber im Privatleben gescheitert. Er ist geschieden, seine 13jährige Tochter Kelly lebt bei der Mutter, nur am Anfang des Films ist Kelly beim Papa zu Besuch. Der hat nämlich Urlaub und beweist schon in der ersten gemeinsamen Szene, was für ein schlechter Vater er ist. Und dann werden in einem Tunnel ein paar Leute durch ungewöhnlich heiße giftige Gase getötet. Roark, immer im Dienst, muß sich die Sache persönlich ansehen. Dabei macht er die Bekanntschaft der blutjungen und bildhübschen Geologin Dr. Barnes, die ihm beiläufig erzählt, daß irgendetwas nicht in Ordnung ist. Zum Beispiel sei die Temperatur eines nahegelegenen künstlichen Sees in den letzten 24 Stunden um sechs Grad gestiegen. Es sei eben ein heißer Sommer, entgegnet Roark, und kann sich im Übrigen die Möglichkeit eines Vulkanausbruches in L.A. nicht vorstellen. Das ändert sich, als der Abend mit einem heftigen Erdbeben beginnt, worauf Roark sein Töchterchen schnappt und zu seinem Hauptquartier will, wo er natürlich nicht ankommt, weil unterwegs Lavaströme umgeleitet und eingedämmt und verschiedene Menschen gerettet werden müssen, darunter auch Kelly, die im Eifer des Gefechtes im Mt. Sinai Hospital lernt, wie man Verantwortung übernimmt.
Am Ende bricht ein neuer Tag an und eine größere Anzahl schwer verschmutzter Helden blickt müde, aber glücklich auf eine Stadt, die ziemlich lädiert wurde, aber im Grunde noch intakt ist. Und: Sie hat einen neuen Berg, wie recht amüsant im Abspann zu erfahren ist.
Das wäre ein ganz normaler Katastrophenfilm, eine Art urbaner Lava-Twister. Aber Regisseur Mick Jackson, den wir trotz Bodyguard wegen L.A. Story lieben, hat dem typischen Helden eine ganze lebendige Stadt zur Seite gestellt, voller Momentaufnahmen und kleiner Beobachtungen, die vor oder während eines Vulkanausbruchs in Los Angeles denkbar sind. Man hat stellenweise, besonders am Anfang, das Gefühl, einem mit leichter Hand gefilmten Film-Essay über Großstadtleben beizuwohnen. Dadurch bekommt Volcano Leben und eine Qualität, die trotz des im Grunde mäßigen Drehbuchs mit all seinen Unwahrscheinlichkeiten und Stereotypen weit über der von ähnlich zerstörungswütigen Werken wie Twister oder Speed II liegt.

Jens Steinbrenner