WACHGEKüSST

Schlaflos in New York

Holly Hunter hat Liebeskummer

Judith (Holly Hunter) platzt fast vor Einsamkeit. Nach dem Ende ihrer Ehe mit einem erfolgreichen Mediziner kämpft sie in ihrem New Yorker Luxusappartment gegen die Erinnerungen an. Nachts schleichen sich Selbstmordphantasien in ihre Träume ein, und wenn sie gar nicht schlafen kann, geht sie noch auf ein paar Martinis zu "Jaspers". Hier steht allabendlich Liz (die Hip-Hop-Königin im Abendkleid: Queen Latifah) auf der Bühne und singt den schwarzen Blues direkt in Judiths verknackste Seele hinein. Im Zustand der Trennung ist die Linie zwischen Untergang und Aufbruch oft nur ganz dünn. Und so ist es ein kurzes Erlebnis, daß Judith aus der Melancholie herauskatapultiert. Auf der Suche nach der Toilette, öffnet sie die falsche Tür und wird überfallartig von einem Fremden (Elias Koteas) geküßt. Eine Verwechslung - peinlich, aber durchaus nicht unangenehm. Auch wenn der unbekannte Küsser wieder im Dunkeln der Nacht verschwindet (so sind sie, die Prinzen von heute!), sieht Judith nach diesem erotischen Schock das Leben mit anderen Augen (so ist das im Kino). Mit geweitetem Herzen bemerkt sie an diesem Abend zum ersten Mal den Portier ihres Appartementhauses. Pat (Danny DeVito) ist ebenfalls eine einsame Großstadtexistenz: geschieden, verschuldet und mit Mitte Fünfzig nicht gerade am Beginn einer vielversprechenden Karriere. Aber auch der Fahrstuhlführer träumt: von einem italienischen Feinschmecker-Import und seit neuestem auch von Judith. Die beiden freunden sich über die Klassen- und Altersunterschiede hinweg an, schütten sich beim nächtlichen Kaffeeklatsch in der Portiersloge das Herz aus, dabei ist die Grenze zwischen Freundschaft und Liebe für Judith klarer als für Pat. Als Drehbuchautor von hochkarätigen Schnulzen wie König der Fischer , Die Brücken am Fluß und zuletzt Redfords "Pferdeflüsterer" hat Richard LaGravenese bereits Erfahrungen in der Konstruktion von aussichtslosen Liebeskonstellationen gesammelt. Das Paar, das nicht zusammen kommen kann, ist auch in seiner ersten Regiearbeit die treibende Kraft der Geschichte, jedoch vermeidet es LaGravenese die Sentimentalitätsschraube bis zum Anschlag anzuziehen. Wachgeküßt focussiert statt dessen den seltsamen Zustand zwischen Depression und Befreiung, den man nach Trennungen so intensiv durchlebt, und die neugewonnene Offenheit, die sich aus dem ungewollten Single-Dasein langsam entwickelt. LaGravanese interessiert sich eher für die Nuancen der Gefühlswelt, als auf die Produktion von Tränenfluten. Holly Hunter und Danny DeVito haben dadurch genug Raum zur Entwicklung ihrer Figuren und das schauspielerische Power-Couple hält den Film in angenehm sentimentaler Balance.

Martin Schwickert