»NICHTS ALS DIE WAHRHEIT«

Schlimmeres verhüten

Götz George gibt die Mengele-Mumie; das Drehbuch ist auch nicht lebendiger

Es ist schon ein gewagter Drehbucheinfall, den 1979 bei einem Badeunfall verstorbenen SS-Arzt Josef Mengele wiederauferstehen zu lassen, um ihm hier und heute postum vor ein ordentliches deutsches Gericht zu stellen. Gewagt ist es auch, Götz George mit der Hauptrolle zu betrauen, denn der hat sich schon ein paar mal zu oft in der Rolle von charismatischen Bösewichten bewährt.
Dass nicht jeder, der etwas wagt, gewinnen muss, zeigt Roland Suso Richter eindrucksvoll in Nichts als die Wahrheit . Peter Rohm (Kai Wiesinger) ist ein sozial engagierter Anwalt, der vor Gericht auch unbeliebte Klienten wie Drogendealer verteidigt und aufzeigt, dass auch sie nur ein Produkt der gesellschaftlichen Verhältnisse in diesem Land sind. Seit Jahren schon schreibt Rohm an einem Buch über den SS-Arzt Josef Mengele, und als er von dubiosen rechten Zeitgenossen nach Südamerika entführt wird, sitzt er plötzlich dem verstorben geglaubten "Todesengel von Auschwitz" gegenüber. Mengele stellt sich den deutschen Behörden und will Rohm zu seinem Verteidiger machen. Unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen und begleitet von entsprechender Medienhysterie beginnt die Verhandlung. Vor dem Gerichtssaal liefern sich rechte Skins und antifaschistische Demonstranten blutige Schlachten. Rohms Wohnung wird von der Presse belagert, Farbeier fliegen. Schließlich organisieren rechte Hintermänner eine kahlköpfige Schutztruppe, um den Mengele-Anwalt von der Öffentlichkeit abzuschirmen. Rohm scheint immer mehr zum Handlanger der braunen Szene zu werden.
Äußerst unbeholfen ringt Nichts als die Wahrheit um eine differenzierte, entmystifizierende Darstellung Mengeles. Der SS-Arzt wird als Meister der Selbstinszenierung gezeigt, der seine Taten zwar zugibt, jedoch sich selbst von aller Schuld freispricht. Während des Prozesses kommen Zeugen aus Auschwitz zu Wort, die die brutalen Menschenversuche des besessenen Mediziners eindrücklich schildern. Gleichzeitig wehrt sich der Anwalt und mit ihm der Film gegen einfache Verurteilungen und vergleicht die Euthanisie-Experimente von damals mit der Sterbehilfe-Debatte von heute. Erst in den letzten fünf Minuten rettet sich der Film Hals über Kopf in eine Verurteilung Mengeles. Erfolglos versucht Roland Suso Richter, Politthriller, Gerichtsfilm und Täterporträt zu verbinden. Zwischen den konfusen Debatten stehen peinliche Versuche, die Geschichte aufzupeppen: Autobomben explodieren, vermummte Polizisten bewachen das Hochsicherheitsgefängnis. Götz George agiert als steinalter Angeklagter in einer unwirklichen Mumienmaske, und wenn er zum ersten Mal den Gerichtssaal betritt, werden aus dem Off apokalyptische Choräle eingespielt.
Das ärgerliche an Nichts als die Wahrheit sind nicht nur die vorgetragenen politischen Argumente, sondern ist die lausige Inszenierung. Wer einen Film über Mengele macht, sollte sein Handwerk verstehen, und die Macher dieses Films sind dem tonnenschweren historischen Stoff weder intellektuell noch filmisch gewachsen.

Martin Schwickert