GEGEN DIE WAND


Risse und Wunden

Ein wuchtiger Film über den Hunger nach Leben

Fatih Akins Film braust einfach los und verschreibt sich mit Haut und Haaren der Wut und der Lebensgier seiner Hauptfiguren. Cahin (Birol Ünel) ist tüchtig auf den Hund gekommen und rast nachts mit dem Auto besoffen einfach gegen die Wand. "Es gibt bessere Möglichkeiten sich umzubringen", sagt der Arzt in der Psychiatrie. Dort trifft Cahin auf Sibel (Sibel Kekilli), die sich das Leben nehmen wollte, bevor es ihr die anderen wegnehmen. Sibel wohnt noch bei ihren Eltern, die vor langer Zeit aus der Türkei nach Hamburg gekommen sind, aber nicht wollen, dass die Tochter so wird wie die anderen in diesem fremden Land. Sibel weiß, was sie will: Ficken, und zwar so oft und mit wem sie möchte. "Heiratest du mich?" fragt sie Cahin, um endlich rauszukommen aus der Familienzwangsjacke.
Die beiden heiraten hochunromantisch, leben ihr wildes Leben und verlieben sich dann doch noch ineinander. Aber bevor sie sich zu nahe kommen können, sitzt Cahin wegen Totschlag für viele Jahre im Knast. Sibel versucht in Istanbul ein neues Leben anzufangen und wird auch dort immer wieder gepackt von der Lebenstodeslust.
Fatih Akins Gegen die Wand ist ein Film voller Risse und Wunden, der sich austobt und plötzlich zur Ruhe kommt, in dem die Kamera umherirrt, aber ganz genau hinschaut, wenn es darauf ankommt. Auf das zarte, entschlossene Gesicht von Sibel Kekilli und auf den wütend-kantigen Körper von Birol Ünel, der sich um Kopf und Kragen spielt.
Mit Gegen die Wand zieht Fatih Akin einen dicken Strich unter das deutsche Sozialarbeiterkino, das auf das Leben der zweiten Einwanderergeneration immer voller Mitleid schaute und dabei doch nur die eigenen Probleme in diesem unseren Lande verhandelte. In Gegen die Wand geht es um mehr. Um die Kraft, die in der Verzweiflung liegt. Um das riesengroße Loch im Bauch, das sich nicht zustopfen lassen will. Und um ein tief zerrissenes Lebensgefühl, das weit über die deutsch-türkische Community hinausweist.

Martin Schwickert
D 2004 R&B: Fatih Akin K: Rainer Clausmann D: Birol Ünel, Sibel Kekilli, Catrin Striebeck