WASTE LAND

Der Müll, die Stadt, das Leben

Eine Dokumentation über den Künstler Vik Muniz und sein Abfallprojekt in Brasilien

Ruhm und Reste, Zufall und Missverständnis, clevere Planung und ein sozialer Impuls, das zeigen bereits die ersten unkommentierten Bilder des Films, bestimmen Leben und Karriere des Brasilianers Vik Muniz. In einer großen TV-Show wird er als einer der größten Künstler der Welt angepriesen und beklatscht, und gleich darauf wehen Müllsäcke durch eine heruntergekommene Favela. Lachend zieht Muniz bei einem Vortrag die Hose runter, um eine Narbe zu zeigen. Dort wurde er bei einem Straßenstreit angeschossen, den er schlichten wollte. Glücklicherweise war der Schütze reich, und Muniz zog mit dem Schmerzensgeld nach New York. Dort wurde er Künstler, steckte Fotos von karibischen Kindern in Zuckergläser, malte europäische Kunstgeschichte mit Dreck nach und entwickelte einen ganz eigenen Umgang mit Menschen und Material. Und schließlich die Idee, dass seine Werke das Leben der daran Beteiligten, der Abgebildeten und der Zuarbeiter, besser wird.

In einem aufwendigen Projekt hat er deshalb die Müllpflücker von Jardim Gramacho fotografiert. Das ist eine gigantische Müllkippe bei Rio De Janeiro, auf der einige tausend Menschen ärmlich davon leben, den Tag und Nacht angelieferten Müll zu sortieren und ansatzweise zu recyceln. Die Verhältnisse sind grausam, aber die Menschen sind glücklich, ja sogar ein bisschen stolz. "Ich stinke" sagt eine junge Frau, "aber das ist besser als Drogen zu verkaufen."

Die Regisseurin Lucy Walker verfolgt Muniz dabei, seltsam humorige Bildmotive auf den Müllbergen einzurichten: den toten Marat in der Badewanne, einen Sämann mit Plastikbeutel, ein Südseemotiv mit Wasserträgerin, eine Madonna mit Jesulein. Dazwischen erzählen einige Sammler von ihrem Schicksal. Und hin und wieder zieht die Kamera auf, zeigt die am Himmel kreisenden Geier und zu bombastischen Elektronik-Klängen von Moby das menschliche Gewusel in der Reste-Hölle, die bis zum Horizont reicht.

Hier ist das Ende der Welt, hier enden Menschen und Material in einem hoffnungslosen Haufen. Und dann schreitet Vik Muniz mit seiner Kamera durch den flirrenden Glast wie ein Westernheld.

Unter seiner Anleitung malen die Picker seine Fotos in riesenhaften Formaten nach und dekorieren sie mit ihrem Müll. Die Ergebnisse werden wieder fotografiert und auf dem internationalen Kunstmarkt verkauft. Der Erlös kommt dem Jardim Gramacho zu Gute. Das ist bestimmt ein gutes Werk.

Ob es auch so eine gute Idee ist, seine Mitkünstler mit nach London zu nehmen, wo Muniz' Müllkunst versteigert wird? Muniz und sein Team diskutieren das einmal kurz gegen Ende des Films. Der Künstler schämt sich sogar ein bisschen seiner anfänglichen Arroganz, die Müllwelt nur als Dekor auszubeuten. Fast wie eine Sühne hängt er zum Schluss persönlich Abzüge seiner Bilder in den armen Hütten auf. "Oh, ich bin wieder klein geworden" scherzt eine Frau vor ihrem Motiv. Dann fallen sich alle in die Arme, gründen eine Gewerkschaft und wollen die Müllwelt bis 2012 schließen und in einen regulären Recycling-Betrieb überführen.

Wing

GB, B 2010. R: Lucy Walker K: Heloisa Passos, Dudu Miranda, Ernesto Herrmann