»Buena Vista Social Club - das Interview«

Aus einer Zeit, die es nicht gibt

Wim Wenders über seinen Film und die Zustände in Cuba


Die Kritik zum Film

Das ist Ihr erster Musikfilm. Wie sind Sie ausgerechnet auf "Buena Vista Social Club" gekommen?
Wenders: Ich habe diese Musik vor mehr als zwei Jahren zum ersten Mal gehört, als mir mein Freund Ry Cooder eine Audio-Cassette mit den Worten in die Hand gedrückt hat: "Hör Dir das mal an. Das haben wir in Havanna aufgenommen. Ich habe das Gefühl, das ist die beste Arbeit meines Lebens." Und ich war vom ersten Ton an von den Socken. In der Musik spürte man einen Funken, eine Lebensfreude, einen Optimums. Da war man wie auf Wolken. Ry Cooder hat mir dann soviel von seiner Zeit in Kuba, von den Menschen dort und den Musikern vorgeschwärmt, daß ich irgendwann die Nase voll hatte und sagte: "Wenn das so toll war, wenn die alle so alt sind und trotzdem so fidel, dann nimm mich mit, wenn du das nächste mal hinfährst".
Wie haben Sie sich auf die Filmarbeiten vorbereitet? Gab es ein Drehbuch?
Bevor wir losfuhren, hatte ich mit ARTE verhandelt und innerhalb weniger Tage ein Treatment geschrieben. Nur ist davon nicht viel übrig geblieben. Ich war zuvor nie in Havanna gewesen, und wir haben gleich am ersten Tag angefangen zu drehen. Die Musiker waren ja nicht aufzuhalten. Da ist von unserem vorgefaßten Konzept nicht viel übrig geblieben. Wir haben dann sehr spontan von einem Tag auf den anderen gedreht. Je mehr wir filmten, um so klarer wurde mir, daß dies nicht nur ein reiner Musikfilm werden würde, sondern auch eine Charakterstudie dieser faszinierenden alten Herren.
Was unterscheidet "Buena Vista Social Club" von ihren früheren Dokumentarfilmarbeiten?
Meine früheren Dokumentarfilme, waren eher subjektive Tagebuchfilme. Hier war es anders: Je näher wir die Musiker kennen lernten, um so mehr wollte ich mich zurückhalten und nur diese Leute und ihre Musik zeigen. Der Film begleitet die Menschen ja über eine ganz wichtige Phase in ihrem Leben. Die Musiker wurden zum Teil gerade erst aus der völligen Vergessenheit herausgeholt und am Schluß stehen sie dann auf der Bühne der New Yorker Carnegie Hall. Das ist der Wunschtraum eines jeden Musikers auf der Welt. Und wenn so einer mit 90 sagt, "Das ist das beste Jahr meines Lebens", dann verschlägt es einem einfach die Sprache
Welchen Eindruck hatten Sie von den Verhältnissen in Kuba?
Sobald man aus dem Touristenhotel herauskommt und wirklich in die Stadt hineingeht, sieht man, daß alles sehr desolat ist. Es ist schon verheerend, wie dort alles langsam verfällt. In Havanna stürzen aus Baufälligkeit jeden Tag dreißig Häuser ein. Man spürt auch deutlich, daß dies ein totalitärer Staat ist, auch wenn dies längst nicht so aufdringlich ist, wie das doch in einigen osteuropäischen Ländern der Fall war. Die Kubaner gehen mit den widrigen Verhältnissen unheimlich cool um und sind trotz allem quer durch die Bank unfaßbar gut gelaunt. Obwohl es nichts zu knabbern gibt und es am Nötigsten fehlt. Strom ist während des Drehs das größte Problem gewesen. Im Studio und in der ganzen Stadt war es oft zappenduster. Wenn man eine Lampe einsteckt, brennt gleich die nächste Sicherung durch ...
Von diesen Härten sieht man im Film wenig. Kuba zeigt sich als romantisch-marodes Paradies ...
Es ist schwer, diese Härte zu zeigen, weil man schnell angesteckt wird von der Haltung, mit der die Kubaner das alles hinnehmen. Da läuft niemand mißmutig durch die Gegend. Dieser fatalistische Optimismus war eine ungeheure Erfahrung. Man kommt dort an und befindet sich in einer anderen Zeitzone. Erst wenn man wieder zu Hause in den späten Neunzigern angekommen ist, merkt man, daß man in einer Zeit war, die es gar nicht mehr gibt.
Im Film scheint sich das Bildmaterial ganz dem Rhythmus der Musik ergeben zu haben. Inwieweit ist Ry Cooder hieran beteiligt?
Ry Cooder steckte bis über beide Ohren in der Arbeit im Studio. Es war schwer genug, unter diesen Bedingungen eine Platte zu produzieren. Diese Musiker waren ja schwerer zu hüten als ein Sack Flöhe. Es war oft unmöglich, sie dazu zu bewegen, dasselbe Stück zweimal zu spielen, weil die immer schon beim nächsten Song waren. Ry Cooder war manchmal dem absoluten Kollaps nah und wußte von daher überhaupt nicht, was wir alles gedreht hatten. Das hat er erst am Schneidetisch gesehen. Die ganze Musik zu den Bildern hat er selbst abgemischt. Natürlich hat er auch das ein oder andere zum Fluß oder zum Rhythmus der Bilder gesagt. Aber in erster Linie wollte er, daß ich von ihm möglichst viel herausschneide.
Ist die Zufälligkeit eines Dokumentarfilms für Sie erholsam gewesen?
Im Spielfilm ist alles vorhergeplant. Da stehen 100 Leute hinter Dir und 50 LKWs um den Block herum. Das ist eine Riesenmaschinerie. Beim Dokumentarfilm ist es umgekehrt: Je weniger man plant, um so eher hat man die Chance, an die Wahrheit heranzukommen. Deshalb haben wir auch auf Videomaterial gedreht, weil wir schnell, flexibel und leise sein wollten. Es ist ein großes Vergnügen allein auf der Straße zu stehen und sich dem hingeben zu können, was passiert. Wenn man aus einer großen Produktion herauskommt, ist es eine heilsame Erfahrung, zu merken, wie das ist, wenn alles, was passiert, nicht geplant wurde.

Interview: Martin Schwickert