Wie beim ersten Mal

Skala des Unbehagens

Meryl Streep und Tommy Lee Jones sind zulange miteinander verheiratet

Einunddreissig Jahre sind eine lange Zeit. Genug Zeit, sich aneinander zu gewöhnen, und genug Zeit, um sich auseinanderzuleben. In der Ehe von Kay (Meryl Streep) und Arnold Soames (Tommy Lee Jones) liegen alltägliche Nähe und emotionale Entfremdung dicht beieinander. Alles in ihrem gemeinsamen Leben ist Routine. Von den Spiegeleiern, die Kay jeden Morgen für ihren wortkargen Mann zum Frühstück brät, bis zu dem Golfsportkanal im Fernsehen, vor dem Arnold abends einnickt, bevor es hoch in die getrennten Schlafzimmer geht.

Aber dann entscheidet Kay, dass es so mit ihnen nicht für den Rest des Lebens weitergehen kann. In den prall gefüllten Eheratgeberregalen des Buchhandels findet sie zwischen Sextipps und Kamasutra-Anleitungen ein Buch mit dem schlichten Titel "Sie können die Ehe führen, die Sie haben wollen", das sie gleich im Auto durchliest. Kurz entschlossen meldet sie sich und ihren Mann zu einer Therapiewoche bei dem Autoren des Buches Dr. Bernard Feld (Steve Carell) an.

Arnold ist alles andere als begeistert von der Idee und weigert sich strikt zum Eheklempner nach Hope Springs im fernen Staate Maine zu reisen. Aber als seine Frau sich allein zum Flughafen aufmacht, fährt er ihr schließlich hinterher.

Recht harmlos plätschert David Frankels Wie beim ersten Mal in der ersten halben Stunde als Ehekomödie dahin. Milde belächelt man das festgefahrene Eheleben des gealterten US-Mittelstandes. Überschaubar scheinen die Rollen verteilt zu sein zwischen dem grantigen Buchhalter, der sich in der Routine eingerichtet hat, und seiner aufmüpfigen Gattin, die ihre Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit nicht aufgeben will.

Aber dann passiert etwas, das man dieser spätromantischen Komödie nicht zugetraut hätte: Sie nimmt ihre Figuren ernst und taucht mit überraschender Ehrlichkeit in deren Gefühlswelten ein. In dem Moment, als Kay und Arnold auf der Couch des Therapeuten Platz nehmen, wird ihr kleines, langweiliges Leben unter die Lupe genommen, und zum Vorschein kommt eine ebenso tragische wie alltägliche Beziehungsstruktur, in der Missverständnisse und die Unfähigkeit, über die eigenen Bedürfnisse zu reden, ganz allmählich zu Lieblosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Partner geführt haben.

Wenn Kay und Arnold vom Therapeuten den Auftrag bekommen zum ersten Mal seit Jahren wieder in einem Bett zu schlafen und sich einfach nur in den Arm zu nehmen, dann wird das zärtliche Ungeschick des Paares fast schon als komödiantischer Slapstick in Szene gesetzt und gleichzeitig die tiefe Einsamkeit, die in dieser Ehe seit Jahrzehnten herrscht, aufgezeigt.

Frankel (Der Teufel trägt Prada) inszeniert diese Gratwanderungen zwischen Komödie und Psychodrama mit leichter Hand und hat sich mit Meryl Streep und Tommy Lee Jones das perfekte Schauspielerpaar dafür ausgesucht. Streep arbeitet die langsam erwachende Aufmüpfigkeit, die verschütteten Sehnsüchte aber auch die oftmals enervierende Einfältigkeit ihrer Figur nuanciert heraus, und Jones scheint ein unerschöpfliches Reservoir an mimischen Ausdrucksformen des Unbehagens zu haben. Beide zeichnen ihre Figuren zu Beginn als Prototypen amerikanischer Spießbürgerlichkeit und lassen nach und nach die menschlichen Seelen hinter dem Klischee zum Vorschein kommen. Hier sind zwei alt gediente Profis bei der Arbeit - und man schaut ihnen gerne dabei zu.

Martin Schwickert

Hope Springs. USA 2012 R: David Frankel B: Vanessa Taylor K: Florian Ballhaus D: Meryl Streep, Tommy Lee Jones, Steve Carell