»WINTERSCHLÄFER«

Der Berg ruft

Nach sieben Jahre in Tibet jetzt ein paar Tage in Berchtesgaden

Groß und mächtig, ...schicksalsträchtig" - es gehört schon einiges dazu, den Ballast der deutschen Filmgeschichte abzuwerfen und als Kulisse für einen zeitgenössisches Filmprojekt das Berchtesgadener Alpenland zu wählen. Einst haben hier Louis Trenker und seine Kameraden das Revier abgesteckt für den deutschen Heimatfilm - eines der gefürchtetsten Genres des 20. Jahrhunderts. Nun eignet sich der Berliner Regisseur Tom Tykwer das Terrain neu an. Im Tiefschnee alpiner Winterlandschaft knüpft er seine dramaturgisch etwas schwerfällige Geschichte zusammen, und wie es sich für einen Bergfilm gehört, ist auch hier das Schicksal die treibende Kraft.
Auf einer engen Serpentinenstraße in den verschneiten Alpen knallen zwei Wagen aufeinander. Als der Bauer Theo (Joseph Bierbichler) wieder zu Bewusstsein kommt, kann er sich nur noch bruchstückhaft erinnern. Der geklaute Alpha Romeo, der den Unfall verursacht hat, ist längst unter einer Schneedecke begraben, der Fahrer getürmt und Theos Tochter im Koma. Der Alpha gehört eigentlich Marco (Heino Ferch), einem Skilehrer, der genau dem entspricht, was man sich unter einem Skilehrer so vorstellt: braungebrannt, gut aussehend, manisch polygam und ein charakterliches Wrack. Marco schläft zur Zeit bevorzugt mit Rebecca (Floriane Daniel), wahrscheinlich lieben sie sich sogar, aber das will niemand von beiden zugeben.
In einer lauschigen Bergvilla wohnt Rebecca mit der Krankenschwester Laura (Marie-Lou Sellem) zusammen, die sich in René (Ulrich Matthes), den Filmvorführer, verliebt, der wiederum den Alpha geklaut hat und sich an nichts erinnern kann, weil sein Gedächnis einen Knacks hat. Deshalb fotographiert er, auch aus der Hüfte, wie Heike Makatsch in Obesession . In den verschneiten Bergen sucht nun der Bauer den flüchtigen Fahrer, der Skilehrer den Autoknacker, alle Beteiligten sowieso sich selbst und auch noch nach der Liebe. Derweil nimmt das Schicksal seinen Lauf. und wenn der Berg ruft, bleibt auch schon mal jemand mortal auf der Strecke.
Tom Tykwer will alles anders machen als die anderen deutschen Filme. Winterschläfer hängt zwischen dem Bezeihungskomödien-Einerlei und dem allseits gefürchteten deutschen Autorenfilm alter Schule. Bedeutsame Sätze über die Liebe, das Leben und den Tod stehen neben amüsanten und weniger amüsanten Dialogen sich neckender Paarkonstellationen. Etwas angestrengt wird hier an der Vielschichtigkeit einer Geschichte gearbeitet, die so kompliziert eigentlich gar nicht ist. Immerhin beweist Tom Tykwer bei der Wahl seiner Kulisse Mut. Alpenpathos, Beziehungsgerangel und Skifahrer-Romatik ergeben ein durchaus skurriles Stimmungsgemisch. Herausragend im etwas verkorksten Figurengeflecht ist Heino Ferch als Skilehrer Marco. Er schafft es, die ganze potenzstrotzende Armseeligkeit des Mackertums in seiner Figur zu bündeln, ohne sie an billiges Komödiantentum zu verraten. Winterschläfer steht als seltsames Zwitterprodukt in der deutschen Filmwunderlandschaft: Visuell ambitioniert, dramaturgisch mißlungen, ein bißchen Thriller, ein bißchen Lustspiel, vor allem jedoch moralische Tragödie. Immerhin ein Film mit Ecken und Kanten, der mehr riskiert, als im kommerziell erfolgreichen deutschen Mittelmaß-Kino üblich.

Martin Schwickert