Wir sind jung. Wir sind stark.

Krawallos

Über die Pegida-Vorgänger in Rostock

Im August 1992 kam es in Rostock-Lichterhagen zu den bisher schwersten rassistisch motivierten Angriffen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Vom 22. bis zum 26. August griffen hunderte, teils rechtsextreme Randalierer jede Nacht unter dem Beifall tausender Zuschauer eine Aufnahmestelle für Asylbewerber sowie ein benachbartes Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter an.

Burhan Qurbanis für das ZDF produzierte Filmdrama Wir sind jung. Wir sind stark. beschäftigt sich mit dem 24. August, dem Tag an dem der Mob das Wohnheim in Brand steckte und verwüstete. Dabei verwendet der Film verschiedene Perspektiven. Da ist Stefan, Sohn des aufstrebenden Lokalpolitikers Martin. Vater und Sohn haben sich nur noch wenig zu sagen. Lieber hängt Stefan mit seinem Kumpel Robbie und seiner Clique ab. Da ihre öde Siedlung aber nichts zu bieten hat schlagen die gelangweilten und frustrierten Jugendlichen die Zeit mit Bier und Pöbeleien tot. Der Selbstmord eines Freundes beschäftigt die Gruppe nur kurz. Sie interessieren sich mehr für die nächtlichen Krawalle vor dem Asylantenheim und die Straßenschlachten mit der Polizei. Endlich ist mal was los und man kann sich auf großer Bühne produzieren. Während Stefan und seine Freunde sich auf den Abend vorbereiten, versucht Martin die außer Kontrolle geratene Lage zu beruhigen. Doch die Polizei ist überfordert und erschöpft, und viele Parteikollegen raten von zu viel Einsatz ab. Geräumt werden soll das Heim zur Deeskalation aber nicht, denn "Politik darf und wird vor Gewalt nicht zurückweichen!" wird in einer Pressenkonferenz verkündet.

Und da ist die Vietnamesin Lien, die in einer Wäscherei arbeitet und nicht viel von den Leuten im Asylantenheim hält, da sie in ihnen die Ursache für die Unruhen sieht. Im Gegensatz zu ihrem Bruder will sie in Deutschland bleiben und nicht nach Vietnam zurück.

Anders als zu erwarten wäre ist das keine Chronik der Ereignisse des 24. August 1992. Der Film streift die Entscheidungen der zuständigen Politiker und der Einsatzleitung nur am Rande, ebenso geht er kaum auf die Rolle der Medien und die Vorgeschichte der Krawalle ein. Das liegt zum Teil an den vielen Nebenhandlungen. Hier ein Vater-Sohn-Konflikt, dort die Beziehung zwischen Stefan und Jennie sowie ein Familienstreit zwischen Lien und ihrem Bruder. Dem Film geht es mehr um die Motive der Jugendlichen. Ebenso will er die explosive Stimmung jener Tage wiedergeben. Beides gelingt durchaus. Die Jugendlichen werden als orientierungslos, enttäuscht und ohne Perspektiven gezeigt. Daraus entsteht Wut, die sich ungehemmt Bahn bricht, befeuert durch die Zuschauer und die mediale Aufmerksamkeit.

Die Siedlung sieht aus wie ein Bürgerkriegsgebiet voller Trümmer und Spuren der vorangegangenen Krawalle. Zwei Drittel des Films sind in schwarz-weiß gehalten, das letzte Drittel mit dem Angriff auf das Wohnheim ist in Farbe. Der Wechsel wischt die mit den schwarz-weiß Bildern geschaffene Distanz weg. Daneben gelingen Yoshi Heimrath hervorragende Bilder und Kamerafahrten. Wir sind jung. Wir sind stark. funktioniert eindeutig mehr auf der Gefühlsebene als auf der analytischen. Doch in den letzten Jahren waren nur wenige deutsche Filme so intensiv, aktuell und ästhetisch gelungen.

Olaf Kieser

D 2014 R: Burhan Qurbani B: Martin Behnke, Burhan Qurbani K: Yoshi Heimrath D: Devid Striesow, Jonas Nay, Joel Basman, Trang Le Hong, Saskia Rosendahl. 128 Min