WONG KAR-WAI

Gewalt mit Sehnsucht

Mit »As Tears Go By« und »Days of Being Wild« kommen die ersten beiden Filme des »Chunking Express«-Regisseurs Wong Kar-Wai ins Kino

Selten nur noch hat man im Kino das Gefühl, etwas wirklich neues zu sehen. Als Chungking Express des Hongkong-Regisseurs Wong Kar-Wai hierzulande ins Kino kam, gingen auch den abgeklärtesten Kinokonsumenten die Augen über. Die einfachen Geschichten vergeblicher Liebeskonstellationen wischten die Erzählkonventionen lässig beiseite und machten Platz für einen Bilderrausch, in dem die Kamera im Dauerdelirium durch das neonbunte Hongkong surfte. Auch in den nachfolgenden Filmen Fallen Angels und Happy Together blieb Wong Kar-Wai seinem genial durchgeknallten Stil treu.
In seinem Kinodebüt As Tears Go By (1988) erzählt Wong Kar-Wai, der bis dahin nur fürs Fernsehen gearbeitet hatte, eine klassische Gangsterballade. Ah Wah (Andy Lau) ist ein altgedienter Draufgänger, der sein Geld als Schutzgeldeintreiber für ein ortsansässiges Syndikat erwirtschaftet. Hier, in der hartgesottenen, kriminellen Männerwelt, in der der Chef mit "Vater" und der untergebene Kollege mit "kleiner Bruder" angesprochen wird, hat sich Ah Wah den nötigen Respekt verschafft. Seinem Kumpel Fly (Jacky Cheung) hingegen fehlt es an Durchsetzungskraft. Immer wieder muß Ah Wah seinem "kleinen Bruder" aus der Patsche helfen und die Auseinandersetzungen, die Fly durch sein loses Mundwerk provoziert, werden mit jedem Tag brutaler.
Die Blutsbrüderschaft der beiden Gangster wird auf eine harte Probe gestellt, als Ah Wah sich in seine scheue Cousine vom Lande (Maggie Cheung) verliebt. Diese Liebe besteht fast ausschließlich aus Abschieden an Häfen und Busbahnhöfen, weil Ah Wah für Fly immer wieder ins Feld ziehen muß. Die verhaltenen Liebesszenen, die aus sehnsüchtigen Blicken und flüchtigen Berührungen zusammengesetzt werden, stehen im starken Kontrast zu den Gewaltexzessen, die Wong Kar-Wai anders als sein Kollege John Woo etwa nicht als ästhetisiertes Kampfballett, sondern mit schmerzendem Realismus inszeniert.
Wongs Stilwille ist schon in dieser konventionellen Geschichte erkennbar. Schnelle Bewegungen werden von einer hypermobilen Kamera in verwischten Zeitlupenaufnahmen eingefangen. Wie in späteren Filmen wird auch hier die lineare Erzählweise aufgelöst. Die Handlung treibt dahin, um sich wenig später wieder hastig zu überschlagen. Bei aller millieubedingten Gewalttätigkeit erscheint allerdings die sehnsuchtsvolle, vergebliche Romantik das eigentliche Thema von As Tears Go By zu sein.
In Hongkong wurde As Tears Go By zum Straßenfeger und Wong Kar-Wai über Nacht zum Star. Der kommerzielle Erfolg führte dazu, daß die Produktionsfirma dem hoffnungsvollen Regisseur bei der Ausführung seines zweiten Projektes nahezu freie Hand ließ. Mit Days of Being Wild wendet sich Wong vom gewalttätigen, hektischen, neonbunten Hongkong der Gegenwart ab und verlegt seine Geschichte in die pastellfarbenen 60er Jahre der britischen Kronkolonie. Yuddy (Leslie Cheung), ein Playboy mit zeitgemäß pomadegestärktem Haar, tingelt lustlos von einer Affäre zur nächsten. Mit imposanten Auftritten hat er das Herz der Verkäuferin Li Chen (Maggie Cheung) erobert und verläßt sie wenig später, um mit dem Barmädchen Fung Ying (Carina Lau) anzubändeln. Li Chen findet Trost bei einem melancholischen Streifenpolizisten (Andy Lau), dessen verhaltene Gefühle sie jedoch nicht erwidert. In Manila sucht später Yuddy nach seiner Mutter. Dort trifft er auf den Polizisten, der mittlerweile zu einem Seemann konvertiert ist, und gemeinsam begeben sie sich auf eine tödliche Reise.
Wie in den späteren Filmen Chungking Express und Fallen Angels scheitern auch hier die Liebesbeziehung am schlechten Timing. Jeder liebt hier jeden am falschen Ort zur falschen Zeit. In Days of Being Wild hat Wong Kar-Wai allen Realismus aus den Bildern verbannt. Jede Szene wirkt sorgfältig durchkomponiert, und Kameramann Christopher Doyle, der alle nachfolgenden Filme von Wong fotographiert hat, zaubert hier aus einer Einstellung allein durch die Veränderung der Tiefenschärfe eine Vielzahl von Bildern. Wenn dann auch noch in dicken Fäden Regen auf das erlesene Set niederprasselt, verschwimmen die Bilder und verlieren sich in den Spiegelungen auf dem nassen Asphalt. Alles ist in Auflösung begriffen - das gilt vor allem für den Seelenzustand der Figuren. So wunderbar verloren wartet der Streifenpolizist stoisch im Dauerregen neben einer Telefonzelle auf den Anruf seiner Angebeteten. Die Bilder werden mit dem Gefühl der Sehnsucht vollends durchweicht. So schön kann Leiden aussehen - im Film.

Martin Schwickert