XIOAS WEG

Go West!

China zwischen Teekessel und Saftpresse

Als China sich noch nicht dem westlichen Kapitalismus geöffnet hatte, wurden Filmemacher wie Chen Kaige und Zhang Yimou auf den Festivals in Cannes, Venedig und Berlin bejubelt. Die internationale Kritikerschar feierte die Poesie und Opulenz der Werke und fahndete mit detektivischer Genauigkeit nach der immanenten Systemkritik. Mit der Goldenen Palme und zwei Oscar-Nominierungen wurde Chen Kaige für Lebewohl, meine Konkubine 1993 bedacht und konnte danach trotzdem nicht so recht auf dem internationalen Parkett Fuß fassen. Sein Monumentalfilm Der Kaiser und sein Attentäter (1999) blieb außerhalb Chinas weitgehend erfolglos. Sein Abstecher ins westliche Ausland endete mit dem peinlichen Erotikthriller Killing Me Softly (2002) als künstlerische und kommerzielle Bauchlandung.
In Xiaos Weg besinnt Chen sich nun wieder seiner bewährten Qualitäten, die mehr im Intimen als im Monumentalen liegen, und auf alte Werte, die im modernen China verloren zu gehen drohen. Wie viele chinesische Filmhelden kommt auch der 13jährige Xiao (Tang Yun) als unbedarftes Landei nach Peking. Sein Vater hat alle Ersparnisse zusammengekratzt, weil er dem begabten Sohn in der Hauptstadt eine Karriere als Violinist ermöglichen will. Liu Cheng (Liu Peiqi) ist ein einfacher, unbedarfter Mann, aber seine naive Hartnäckigkeit führt ihn stets zum Ziel. Es gelingt ihm, den etwas exzentrischen Professor Jiang (Wang Zhiwen) als Geigenlehrer zu gewinnen, der Xiao mit unorthodoxen Methoden in das Seelenleben der Musik einführt. Aber bald schon findet der Vater in Professor Yu (Chen Kaige himself) einen Lehrer, der dem jungen Musikgenie eine internationale Karriere eröffnen könnte.
Allzu offensichtlich stehen die beiden für die unterschiedlichen Wertkonzepte, die in der heutigen chinesischen Gesellschaft gegeneinander ringen. Während in Jiangs unaufgeräumter Stube über die inneren Qualitäten der Musik verhandelt wird, lodert warm und gemütlich der Kohleofen samt dampfendem Teekessel. In der hochmodernen Wohnung, die dem eitlen Professor Yu als Talentschmiede dient, bestimmen hingegen Mikrowelle und elektrische Saftpresse das Haushaltsbild. Die menschliche Wärme der guten, alten Zeit und der kalte Materialismus der kapitalistischen Moderne - die Gegensätze werden hier mit dem Zeigestock vorgeführt.
Das alles wird mit aufwallender klassischer Musik und warmen satten Farbtönen unterlegt und wirkt über weite Strecken so, als wolle sich Chen Kaige mit seinem Drama des begabten Kindes in Hollywood bewerben. Aber dann schaut man ins Gesicht des Hauptdarstellers Tang Yun, der die emotionalen Wechselbäder seiner Figur mit einem betörenden Understatement durchläuft, und man erinnert sich an die eigentlichen Qualität des chinesische Kinos, das von großen Gefühlen ohne plakative Gesten erzählen kann.
Die Verwestlichung, die Chen in seinem Film beklagt, hat in der Erzählweise und der exportorientierten Ästhetik von Xiaos Weg längst Einzug gehalten.

Martin Schwickert

Hi Ni Zaiyiqi VR China/Südkorea 2002 R: Chen Kaige B: Chen Kaige, Xue Xiao Lu K: Kim Hyung-koo, Jin Jiongqiu D: Tang Yun, Liu Peiqi, Chen Hong, Wang Zhiwen