X-Men: Zukunft ist Vergangenheit

Last Woman standing

Das X-Men-Franchise bleibt eine der intelligentesten Comic-Verfilmungen

Die X-Men-Comics aus dem Hause Marvel und ihre filmischen Wiedergänger waren stets eng mit der Zeitgeschichte des 20.Jahrhunderts verknüpft. In dem Kampf der Mutanten um Gleichberechtigung spielgelten sich die Emanzipationsbewegungen der sechziger Jahre. Als allegorische Reflektion sinnierten die Filme über die Angst vor dem Andersartigen und die Folgen von Rassismus. Dabei wurde auch immer wieder der Holocaust als Referenzpunkt aufgegriffen. So sind es die Erfahrungen des Konzentrationslagers, die Magneto als eine der Zentralfiguren zu einem verbitterten und kompromisslosen Verteidiger der Mutanten gemacht haben, der den Glauben an eine friedliche Koexistenz mit den Menschen verloren hat.

Auch Bryan Singers neue Franchise-Folge X-Men: Zukunft ist Vergangenheit beginnt mit Aufnahmen aus Konzentrationslagern, in denen Mutanten eingepfercht sind und Leichname mit Bulldozern in Massengräber geschoben werden. Aber die Schreckensbilder sind hier keine Rückblende in die Historie, sondern die Vision einer Zukunft, in der der Genozid zum weltpolitischen Diktat geworden ist. Mit einer Armee aus High-Tech-Robotern macht die Menschheit Hatz auf die Mutanten, die - auch wenn sich die früheren Gegenspieler Professor X (Patrick Stewart) und Magneto (Ian McKellen) im Kampf zusammengetan haben - kurz vor ihrer Auslöschung stehen. Rettung kann nur die telekinetisch begabte Kitty Pryde (Ellen Page) bringen, die in der Lage ist, das Bewusstsein eines Menschen durch die Zeit hin zu einer jüngeren Version seiner selbst reisen zu lassen.

Wolverine (Hugh Jackman) soll zurück in die Siebziger, wo die politischen Weichen für die Entwicklung der Killermaschinen gestellt wurden. Ein Attentat der militanten Mutantin Mystique (Jennifer Lawrence) auf den Roboteringenieur Dr. Trask (Peter Dinklage) soll vereitelt werden. Denn der Anschlag, der das Rüstungsprojekt eigentlich verhindern sollte, hat dessen Befürwortern nicht nur politisch in die Hände gespielt. Die Festnahme Mystiques verschaffte dem Unternehmen auch das entscheidende genetische Wissen zur Weiterentwicklung der Kampfroboter.

Um in den Fortgang der Historie eingreifen zu können, muss Wolverine die beiden zerstrittenen Mutantenführer Professor X (James McAvoy) und Magneto (Michael Fassbender) zusammenbringen. Ersterer vegetiert drogensüchtig im Morgenmantel auf dem Gelände der geschlossenen Mutantenschule. Letzterer schmort als mutmaßlicher Kennedy-Attentäter im Hochsicherheitskeller des Pentagons.

Wie schon in Matthew Vaughns gelungenem Relaunch X-Men: Erste Entscheidung (2011), das die Geschichte zurück ins Jahr 1961 spulte und eine Neuinterpretation der Kubakrise in die Handlung einwebte, mischt auch Singers Fortsetzung Comic-Fantasy und Zeitgeschichte miteinander. Die Nixon-Ära und die Pariser Gespräche über das Ende des Vietnamkriegs bilden hier den historischen Rahmen, in dem der Zeitreiseplot um die Vereitelung eines zukünftigen Genozids aufgebaut wird. Überraschend organisch verbinden sich hier die beiden Ebenen. Die Vorstellung, dass sich parallel zu der im kollektiven Gedächtnis verankerten Zeitgeschichte eine weitere Version der Ereignisse verbirgt, entwickelt hier beträchtlichen Leinwand-Appeal. Gegenüber dem hübsch, aber nicht übertrieben kolorierten 70er-Jahre-Setting, wirkt das düstere, digital generierte Zukunftsszenario zwar etwas einfallslos. Aber immerhin bietet die brezelförmige Zeitreiselogik Singer, der als Geburtshelfer für die ersten beiden X-Men Filme verantwortlich zeichnete, die Möglichkeit, die alte Besetzung um Patrick Stewart mit dem Relaunch-Ensemble zusammenzubringen. Damit wurde gleichzeitig eine stabile Personaldecke für den Fortbestand der Serie geschaffen. X-Men: Apokalypse ist schon in der Pipeline und wird sicherlich nicht die letzte Folge in diesem Comic-Universum sein, das verglichen mit den Genrekonkurrenten immer noch am meisten Mutationspotenzial in sich birgt.

Martin Schwickert

X-Men: Days of Future Past USA 2014 R: Bryan Singer B: Jane Goldman, Simon Kinberg, Matthew Vaughn K: Newton Thomas Sigel D: Hugh Jackman, James McAvoy, Michael Fassbender, Jennifer Lawrence, 131 Min.