ZEITEN DES AUFRUHRS

Ausbruchsversuche

Sam Mendes geht wieder in die Vorstädte. Und findet dort das ehemalige "Titanic"-Traumpaar Leonardo DiCaprio und Kate Winslet

Die Gesichter der Nachbarn frieren zu einer Grimasse vollkommenen Unverständnisses ein, als Frank (Leonardo DiCaprio) und April Wheeler (Kate Winslet) verkünden, dass sie im September mit Kind und Kegel nach Paris ziehen wollen. Im selbstzufriedenen Amerika des Jahres 1955 ist ein solcher Schritt eine obszöne Fahrlässigkeit.

Gesicherter Job, Eigenheim im Grünen, zwei hübsche Kinder: Die Wheelers sind eine amerikanische Vorzeigefamilie. Aber hinter der Wohlstandsfassade bröckelt's. Frank ist kreuzunglücklich mit seiner Brötchenverdiener-Existenz in einem New Yorker Großraumbüro. Jeden Tag quält er sich mit Hunderten von Hut- und Anzugträgern in den Vorortzug hinein und erinnert sich nur noch diffus an den Lebenshunger, den er und April hatten, als sie sich kennen lernten.

Dazwischen liegen eine Hochzeit, ein Weltkrieg und zwei Kinder. An seinem dreißigsten Geburtstag gönnt sich Frank eine selbstgefällige Nachmittagsaffäre mit einer willigen Sekretärin und wird am Abend von April mit dem Vorschlag überrascht, noch einmal ein neues Leben anzufangen. Von Paris habe er doch immer geschwärmt, sie werde als Sekretärin in der Botschaft arbeiten, und er könne endlich nach all den Jahren der Familienvaterknechtschaft frei nach seinen eigentlichen Ambitionen forschen.

Frank findet Gefallen an dem Plan und schon bald ist der Befreiungsschlag aus dem Spießerdasein beschlossene Sache. Aber während die Wheelers beginnen, ihre Kisten zu packen, rufen die Sirenen des amerikanischen Establishment sie mit aller Macht zurück. Die verstörten Reaktionen von Freunden, Kollegen und Nachbarn, die plötzlichen Karriereangebote des Firmenchefs und die unverhoffte Schwangerschaft Aprils summieren sich zu einem Sog von Zweifeln, der die Ausbruchsfantasien langsam ersticken lässt.

Neun Jahre nach American Beauty kehrt der britische Regisseur Sam Mendes zurück nach Suburbia. Nach dem gleichnamigen Roman von Richard Yates aus dem Jahre 1961 entwickelt Mendes ein Liebeskammerspiel, in dem die Sehnsucht nach einem Leben jenseits genormter Glücksvorstellungen hochemotional verhandelt wird. Der Hintergrund der fünfziger Jahre ist dabei weniger Zeitkolorit, sondern wirkt eher wie ein Klarsichtbrille, die den Blick auf die persönlichen und gesellschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisse schärft.

In einem gelungenen Besetzungscoup lässt Mendes elf Jahre nach Titanic mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet das einstige romantische Traumpaar in den Beziehungskrieg ziehen. Und trotz der desillusionierenden Geschichte ist es ein Genuss, den beiden Schauspielern bei der Arbeit zuzusehen. DiCaprio wirkt zwar manchmal ein wenig überdosiert, aber Kate Winslet liefert eine atemberaubende Vorstellung. Mit einer genau ausbalancierten Mischung aus Transparenz und Unberechenbarkeit schickt sie ihre Figur durch das Wechselbad der Gefühle. Nur am Ende hat man das Gefühl, dass Regisseur Mendes mindestens drei Schlusswendungen zu viel angehängt hat. Aber das ist nur ein marginaler Makel in diesem ebenso intelligenten wie mitreißenden Beziehungsdrama.

Martin Schwickert

Revolutionary Road USA/GB 2008 R: Sam Mendes B: Justin Haythe nach einem Roman von Richard Yates K: Roger Deakins D: Leonardo DiCaprio, Kate Winslet, Michael Shannon