ZIMT UND KORIANDER

Gerüche der Kindheit
Über Politik, Gewürzbällchen und die Liebe zur Kochkunst

Der Zutritt auf den Dachboden ist für Fremde verboten, denn dort lagern die eigentlichen Schätze von Vassilis Gemüseladen. Kleine Säcke mit Pfeffer, Koriander und Zimtstangen stehen auf dem Tisch. Sträuße von Rosmarin, Oregano und Lorbeer hängen zum Trocknen im Gebälk. Vassilis kennt alle Geheimnisse der Gewürzkunst. Ein wenig Zimt an die Hackfleischbällchen steigert die Appetenz des Liebhabers und stimmt die angehenden Schwiegereltern milde. Als der Enkelsohn Fanis nach über 30 Jahren wieder zurückkehrt nach Istanbul, steht der Laden des Großvaters schon lange leer, aber in den Gerüchen auf dem Dachboden findet er seine Kindheit wieder.
In den 50er Jahren hat Fanis mit seinen Eltern in Istanbul gelebt, das sie immer nur Konstantinopel genannt haben. Dann eskalierte der Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei und alle griechischstämmigen Bürger wurden vom Bosporus auf die andere Seite der Ägäis deportiert. Fanis geliebter Großvater bleibt in Istanbul, während die Eltern nach Griechenland abgeschoben werden. Was der 7jährige aus seiner Kindheit in der multikulturellen Metropole mitgenommen hat, ist die Gewürz- und Kochkunst des Großvaters.
Vergeblich versuchen die Eltern dem Jungen seine nächtlichen Kochorgien zu verbieten. Sogar auf dem Schulhof beköstigt Fanis eine stetig wachsende Zahl von Mädchen mit einem voll funktionierenden Puppenherd.
Als der Großvater stirbt, kehrt Fanis erstmalig nach Istanbul zurück, wo die Erinnerungen das eigene Leben neu hinterfragen.
Mit Zimt und Koriander spürt Regisseur und Drehbuchautor Tassos Boulmetis der eigenen, verlorenen Kindheit nach, und das geschieht auch hier nicht ohne den nebligen Schleier der Verklärung. In weichgezeichneter Optik und computeranimierten Panorama-Aufnahmen wird Konstantinopel zu einem märchenhaftes Paradies, das durch den jähen Einbruch der Politik seine multikulturelle Unschuld verliert. Trotz gefälliger Kitschelemente vermittelt Boulmetis ein mit persönlichen Details angereichertes Bild von Vertreibung und Heimatverlust - ein Thema, das im krisengeschüttelten Global-Village nie an Aktualität verlieren wird.
Dass Kochen und Essen bisweilen auch den Versuch darstellen, eine verlorene Identität wieder herzustellen, das zeigt Zimt und Koriander auf eine sehr sinnliche und inspirierende Weise, die einem immer wieder das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt.

Martin Schwickert
A Touch of Spice GR/TK 2003 R&B: Tassos Boulmetis K: Takis Zervoulakos D: George Corraface, Ieroklis Michailidis, Renia Louizidou