»ZIVILPROZESS«

Einspruch

John Travolta als Anwalt hat plötzlich ein Herz

Gerechtigkeit hat einen Preis, der vor Gericht ausgehandelt werden will. Jan Schlichtmann (John Travolta) kennt als kaltschnäuziger Anwalt die Regeln. Ein männlicher Weißer, der durch Drittverschulden aus dem Berufsleben gerissen wird, bringt das meiste Geld in die Kasse - ein totes Kind das wenigste. Schlichtmann liegt ein Fall mit acht toten Kindern auf dem Tisch. Bei allen Opfern diagnostizierten die Ärzte Leukämie. Die Eltern vermuten als Ursache Verseuchung des Trinkwassers durch anliegende Industrie. Sie fordern Aufklärung und eine öffentliche Entschuldigung. Schlichtmann windet sich um eine Entscheidung. Gegen seine Gepflogenheiten übernimmt er den Fall, da die Beweislage eindeutig erscheint. Zudem verspricht der Prozeß mediale Präsenz für den Anwalt.
Der titelgebende "Zivilprozeß" klappt wie am Schnürchen. Steven Zaillian dirigiert seine Akteure durch eine Farce, karikiert die Durchtriebenheit des Justizsystems. Travolta und sein Gegenspieler Robert Duvall swingen nonchalant vor Euer Ehren als gehe es um eine Kleinigkeit vor Feierabend. Beide Anwälte treten auf ihre Art lässig auf: der eine als eleganter Yuppie, der andere als exzentrischer Nostalgiker.
Doch Schlichtmann entdeckt sein Herz für die Wahrheit und lehnt ein millionenschweres Vergleichsangebot ab. Vom Saulus zum Paulus - nicht nur die Figur, auch Travolta selbst überfordert die Wandlung. Fortan trägt er dick auf, wenn die Situation eine Gefühlsregung verlangt. Der Prozeß wird zäh, das Filmtempo träge. Regisseur und Drehbuchautor Zaillian setzt in Szene, was aus anderen Gerichtsfilmen hinlänglich bekannt ist. Es erfolgen Anhörungen, Einsprüche und Wahrheitsdebatten. Die Kamera von Conrad L. Hall fährt die gesamte Perspektivpalette ab: von der hinteren Bank, von der Richterbank, und vorbei an Verteidiger/Kläger/Zeuge. Ein Glück, daß es noch das Wasser gibt. Gläser werden eingeschenkt, niedergestarrt oder fallen gelassen. Damit die Symbolik jedem wie Schuppen von den Augen fällt, erfolgt das in didaktischer Zeitlupe.
Die eingeforderte Wahrheit grüßt von der Leinwand - erhaben und direkt aus Washington. Die eigentliche und wahre Geschichte ist dann bereits erzählt. Sie handelte von Menschen, die ein wenig über sich hinausgewachsen sind und einem Justizapparat, der clever auszuhebeln ist. Bis in die Nebenrollen mühten sich dabei großartige Schauspieler (William H. Macy, Kathleen Quinlan und Stephen Fry), um einen omnipräsenten Travolta Paroli zu bieten. Besonders ihnen ist es zu verdanken, daß Zivilprozeß trotz Erzählumschwung in der Mtte eine runde Sache geworden ist.

Ulf Lippitz