INTERVIEW MIT RADU MIHAILEANUS

DIE VERSCHWUNDENE ZIVILISATION

Radu Mihaileanus »Zug des Lebens« ist eine kluge Groteske über die Schrecken der Nazi-Zeit. Martin Schwickert sprach mit dem Regisseur über seinen Film


Die Kritik zum Film

Warum haben Sie sich für einen komödiantische Zugang zum Thema Holocaust entschieden?
Radu Mihaileanu: Komödie und Tragödie sind nur zwei verschiedene Sprachen, in denen man eine Geschichte erzählen kann. Es gibt gute und schlechte Komödien. Es kommt darauf an, wie ernst das Sujet genommen wird. Direkt nach dem Holocaust konnte man das Thema natürlich nicht humorvoll behandeln. Die ersten, die aus den Lager kamen, schwiegen darüber, weil ihnen niemand glauben wollte. Sie versuchten zu vergessen. Später erkannten sie, dass es wichtig ist, über den Holocaust zu sprechen, damit die Geschichte sich nicht wiederholt. Filme wie Claude Lanzmanns Meisterwerk Shoah , die Filme von Alain Resnais, Marcel Ophüls und auch Schindlers Liste , der das Thema dem breiten Publikum zugänglich gemacht hat - all diese Filme verwenden die gleiche Sprache von Tränen und Trauer. Wir wollten diese Sprache nicht noch einmal benutzen, weil die Leute das heute nicht mehr hören möchten. Wenn das Publikum sagt: "Wir haben genug von Euren traurigen Shoah-Geschichten" dann ist das sehr gefährlich für die Erinnerungsarbeit. Außerdem hat der traditionelle jüdische Humor schon immer die tragischen Elemente unserer Geschichte mit Witz versetzt und die Tragödie hinter der Komödie versteckt.
Besteht dabei nicht auch die Gefahr der Banalisierung des Holocaust?
Radu Mihaileanu: Das Problem ist für mich nicht der Humor, sondern die Frage: Wie kann ich im Medium Film - dem wichtigsten Kommunikationsmittel der heutigen Zeit - etwas veranschaulichen, was audiovisuell eigentlich nicht darstellbar ist? In einem Buch kann der Leser den Teil, den man nicht in Worte fassen kann, mit seiner eigenen Vorstellung ergänzen. Im Film ist es sehr viel schwieriger, metaphysische Fragen zu diskutieren. Ich wollte über den Holocaust sprechen, ohne ihn jedoch direkt zu zeigen. In meinem Film sieht man deshalb nur wenige Deutsche und fast keine Bilder aus den Lagern. Der Schrecken der Konzentrationslager wird durch eine filmische Darstellung schnell banalisiert. Bei all der Gewaltdarstellung im heutigen Kino kann das Publikum die Dimension dieser Gewalt, die die Menschlichkeit aus der Schöpfung genommen hat, nicht mehr nachvollziehen.
Sie haben Roberto Benigni damals die Hauptrolle und damit auch Ihr Drehbuch angeboten und als er mit "Das Leben ist schön" ebenfalls eine Komödie zum Holocaust vorlegte, wurden Plagiatsvorwürfe laut ...
Radu Mihaileanu: Ich weiß wirklich nicht, wer die Idee zuerst gehabt hat. Ich habe Benigni damals mein Drehbuch geschickt und ein paar Journalisten haben ihm vorgeworfen, er hätte es kopiert. Ich habe das nie behauptet. Benigni sagt, dass er seine Geschichte schon geschrieben hatte, bevor er mein Skript las.
Haben Sie darüber persönlich mit ihm gesprochen?
Radu Mihaileanu: Nein, wir haben immer nur über die Presse miteinander kommuniziert.
Sie jonglieren spielerisch mit verschiedenen nationalen und politischen Identitäten: Möchte-Gern-Kommunisten, gefälschte deutsche Offiziere und echte kommunistische Partisanen. Spiegeln sich hier Ihre eigenen Lebenserfahrungen im sozialistischen Rumänien wider?
Radu Mihaileanu: Mein Vater war vor dem Krieg ein überzeugter jüdischer Kommunist. Zuerst wurde er von den Nazis verfolgt und in ein Arbeitslager gesteckt. Nach dem Krieg wurde er als Antistalinist dann von den Kommunisten verfolgt. Ich bin in einer Diktatur groß geworden, und dort gab es eine Menge Schwindler und Pseudo-Kommunisten. Rumänien war ja nicht wirklich ein kommunistisches Land, so wie mein Vater es sich vorgestellt hat. Da waren Opportunisten an der Macht, die die Ideen für ihre Zwecke benutzt haben. Im Westen ist das übrigens nicht anders: Mitterand kam auch als Sozialist daher und führte sich wie ein König auf. Deshalb habe ich die Figur des Yossi eingeführt. Ihm ist die Idee des Kommunismus eigentlich egal, so wie sie 80 % der rumänischen Bevölkerung gleichgültig war. Er will nur an die Macht, um einem Mädchen zu imponieren. Er verliebt sich allerdings in die Macht und vergisst dabei das Mädchen.
Ist "Zug des Lebens" auch als eine fiktive Reise zu zerstörten jüdischen Traditionen zu verstehen?
Radu Mihaileanu: Es ist ein Film über eine verschwundene Zivilisation. Der Holocaust hat die Schtetl-Kultur in Osteuropa und auch die jiddische Sprache vernichtet. Nur noch ein paar Gemeinden in New York und Israel sprechen Jiddisch, und wenn diese Generation stirbt, wird auch das Jiddische ausgestorben sein. Mir ging es darum, zu zeigen, wie wundervoll diese keineswegs perfekten Menschen im Schtetl waren. Ich wollte, dass das Publikum sich für eineinhalb Stunden in sie verliebt, um sie bangt, hofft, dass sie entkommen können und sich das Danach selbst vorstellt. Wir wissen, dass die Geschichte nicht gut ausgehen kann und hoffen trotzdem. Ich wollte die Energie, die Musik und das Leben dieser Menschen als eine Art unrealistischen Cartoon zeigen - ein Leben, das irgendjemand aus irgendeinem Grund einfach ausgelöscht hat.