AUS WEITER FERNE, SO NAH!

Astigmatische Adler

Natürlich kann man einen Film, in dem Michail Gorbatschow und Heinz Rühmann auftreten schon aus Prinzip nicht ernst nehmen. So fiktionsbrechend stehen sich da Film- und Zeitgeschichte gegenseitig auf den Schultern, daß jeder kluge Zirkusdirektor dergleichen nur als Umbaupausenspaß duldete.

Andererseits kann man natürlich auch in Deutschland keinen Film komisch finden, der uns im ersten Schwenk schon derart auf die Berliner Siegessäule treibt, als hätte Leni Riefenstahl das Second Unit bedient. So goldbronzig steilt und weilt der Engelsflügel da, daß man am liebsten gleich fortflöge ins nächste Kino, wenn es da bloß "Heaven can wait" gäbe.

Es gibt aber nur eine umgefallene Mauer als Brennpunkt-Verlust und einen wenig gefallen habenden Vorgänger-Film ("Bis ans Ende der Welt") als Ansporn-Ersatz. Weshalb Wim Wenders da weitermacht, wo er am Ende von "Der Himmel über Berlin" aufhörte. Nur umgekehrt. Diesmal fällt der Engel früh. Damit ein Kind sich nicht zu Tode stürzt wird er ein Mensch. Und der Schwarz-Weiß-Film wird bunt. Zu bunt.

War der erste Himmel noch fast ganz und gar von einem zwar angestrengt aber auch anhaltend poetischen Leuchten am Rande des Glimmens durchschwebt, so bewölkt der neue sich bald mit Klamauk, Krimi, Kalauer und City-Magie, reißt mal sekundenweise auf für Roncalli-Romantik (Artisten im Hinterhof, bungee-schaukelnd - vermutlich eine elastische Metaper für "ratlos"), bricht dann doch wieder über uns herein mit einem Bruno Ganz, dem Fall-Engel des Vorläufers, als italienisch singender Pizzarist ... und Willem Dafoe macht den Versucher, den Wanderer zwischen den Welten fast so gut, als wären wir in einer Episode von Twilight Zone. Sind wir aber nicht, weil sonst nicht auch noch Peter Falk als Peter Falk aufträte, einen Columbo-Witz einmal zu oft machte und der Kameramann des Himmels über Berlin (Henri Alekan, wirklich vorzüglich) am Schluß als Kapitän eines "Alekahn" genannten Kahns über die Havel ginge. Nur mal als Beispiel.

Für das durchweg gemächliche Tempo des Films kommen jede Menge Sachen und Leute drin vor. Das könnte sogar klappen, aber es sind auch viel zu viele Zeigefinger und selbstreferentielle Bedeutsamkeiten drin. Etwa wenn der Sohn (Horst Buchholz, recht ordentlich) des geflohenen Reichsfilmkammer-Chefs heute eine illegale Video-Kopier-Straße unterm Flughafen hat, und seine Ware gegen Waffen verdealt. Hach, wäre das nur eine platte Räuberpistole, dann könnte man sich so schön Gedanken machen über solche symbolischen Arrangements und den geheimen Inhalt jedes Story-Schlenkers. Aber bei Wenders steht schon vorher groß an aber auch jeder Einstellung: nicht schütteln, Sinn drin.

Diese merkliche Absicht vor allem bringt den Flug des Films ins Trudeln. Weder schwebt da ein Märchen über uns, noch stößt ein Lufttier auf die Beute zu, immer wieder unterbricht sich die Parabel vom moralisch unerfahrenen neuen Menschen wortflatternd, auf der Stelle tretend - und weder Kraft (der Bilder) noch Freundlichkeit (der Seelen) bündeln sich je einmal an einem Punkt.

Schade. Doch trotzdem gibt es schöne Augenblicke, anrührende Momente, blaue Stunden. In weiter Ferne, so nah! ist der Versuch, den optischen Effekt der beglückenden Desorientierung zu filmen; aber gelingen kann das schon aus Prinzip nur für Minuten.

-w-