ALEXANDER ADOLPH ÜBER »DIE HOCHSTAPLER«

Die Oberfläche der Lüge

Regisseur Alexander Adolph über »Die Hochstapler« und warum in seiner Dokumentation nur Männer zu Wort kommen


Die Kritik zum Film

Wie ist es Ihnen gelungen, das Vertrauen der vier Hochstapler zu bekommen?

Ich habe einen Einstiegssatz benutzt, der lautete: "Ich möchte gerne mit Ihnen über Ihre Märchenwelt sprechen." Und das hat bei allen vier Protagonisten sofort etwas ausgelöst. Je ehrlicher und fordernder ich war, desto mehr haben sie mir gegeben. Und ich habe meinen Protagonisten einiges abverlangt. Sie haben mir Einblick in ihre Gerichtsakten gewährt, die Rechtsanwälte von der Schweigepflicht befreit und viel von ihrem persönlichen Material zur Verfügung gestellt. Einige waren sogar bereit, ihre Opfer und ihre Familie vor die Kamera zu bringen.

Was hat Sie an dem Motiv des Hochstapelns so sehr fasziniert?

Mir ging es darum herauszufinden, was einer fühlt, wenn alle anderen im Zimmer denken, er sei ein Graf oder ein berühmter Arzt. Mich interessiert die Oberfläche des Lügens. Was passiert wenn man lügt? Auf der einen Seite manipuliert man andere, aber auf der anderen auch sich selbst. Wenn ich den Leuten vorlüge, ich wäre verreist, könnte es sein, dass ich zum Schluss im eigenen Keller hause, damit die Nachbarn denken, ich sei verreist. Und damit bin ich ein Lügner und auch Sklave meiner Lügen.

Wie schwer war es im Gefängnis zu drehen?

Es war unsäglich schwer Genehmigungen zu bekommen. Die Gefängnisleiter haben uns komisch angesehen, weil sie dachten, wir würden ein investigatives Magazin machen. Im Gefängnis zu drehen, war eine sehr eigenwillige Erfahrung. Es ist ein sehr ruhiger, aber auch ein sehr trauriger Ort.

Ein Begriff, der in den Erzählungen bei Tätern und Opfern immer wieder auftaucht, ist Gier...

Gier ist eine urmenschliche Eigenschaft. Man kann dazu auch Sehnsucht sagen. Man kann eine Gier nach Liebe haben und nach Geld. In dem Film sieht man, wie sehr beides ineinander verschränkt ist. Wir leben in einer Welt, in der alles immer virtueller wird. Im Internet kann man sich mit "Second Life" ein neues virtuelles Leben als reiches Model oder Kunstsammler erfinden. Wir haben eine Menge Mythen, die sich in der Werbung ansammeln, tolle Werte wie "Geiz ist geil". Wenn man in unserer Gesellschaft alles richtig machen will, dann muss man eigentlich lügen und seine Schokoladenseite noch schokoladiger machen.

Alle vier haben in den 90ern agiert. War das eine gute Zeit zum Betrügen?

Die Vier sind ganz bestimmt Menschen der 90er. Die "New Economy" oder der unbedingte Glaube an ein neues großes Deutschland nach der Wende haben sie miterlebt und darin agiert. Aber Menschen, die sich eine andere Persönlichkeit anmaßen, gibt es heute sicherlich noch genauso viele wie damals.

Ist Hochstapeln ausschließlich ein Männersport?

Ich habe mich im Vorfeld mit 40-50 Hochstaplern getroffen, und das waren alles Männer. Aber ich kann mir kein Urteil darüber erlauben, warum das so ist. Ein sehr berühmter Forensiker hat mir vor laufender Kamera erklärt: "Frauen hochstapeln die ganze Zeit. Sie schminken sich, führen sich auf und haben es deshalb gar nicht nötig, solche Delikte zu begehen". Ab dem Moment wusste ich, dass ich dieses Thema gar nicht im Film haben will, weil alle Theorien dazu sehr simplifizierend sind. Es bleibt für mich ein großes Fragezeichen, warum es keine weiblichen Hochstapler gibt.

Gehört das Erwischtwerden zu einer Hochstaplerbiografie dazu?

Alle berühmten Hochstapler haben die Hälfte ihrer Lebenszeit damit zugebracht, dafür zu zahlen, was sie in der anderen Hälfte angestellt hatten

Und die Strafen sind drakonisch...

Ich habe mir nicht träumen lassen, dass in der Konsequenz der Wiederholungstat ein Vermögensdelikt genauso hoch geahndet wird wie ein extremes Gewaltverbrechen. Ein Wiederholungstäter wie Torsten S., der Dinge erschwindelt und weiterverschenkt hat, der einen Vermögensschaden in einer Höhe angerichtet hat, die andere als Dispokredit bekommen, sitzt lebenslänglich in Haft, weil man für ihn Sicherheitsverwahrung angeordnet hat. Das heißt, wenn er seine Strafe verbüßt hat, muss er weiter in Gefangenschaft bleiben. Alle zwei Jahre wird seine Zukunftsprognose geprüft, und die bleibt schlecht, weil er keine psychologische Betreuung im Gefängnis bekommt. Über diese Unverhältnismäßigkeit müsste man einen eigenen Film machen.

Interview: Martin Schwickert