Woody Allen über »Magic in the Moonlight«

»Mein romantischer Blick«

Woody Allen über Schwindler, Tricks und Trickser, über seinen Film »Magic in the Moonlight« und warum man Erfolg nicht planen kann


Der Film zum Interview

Magie hat in Ihren Filmen schon oft eine wichtige Rolle gespielt. Woher kommt Ihr Faible für Zauberei?

Ich habe mich als Junge in der Amateurzauberei versucht. Tagelang saß ich in meinem Zimmer und habe irgendwelche Tricks mit Zigaretten, Karten, Münzen oder Handschellen ausprobiert. Ich habe viele Bücher dazu gelesen und bin bei der Lektüre darauf gestoßen, dass es während der Zwanziger in den USA und Europa eine richtige Welle von spirituellen Scharlatanen gab. Sie zogen den reichen Leuten das Geld aus der Tasche, indem sie so taten, als könnten sie die Zukunft vorhersagen oder mit den verstorbenen Verwandten ihrer Gönner kommunizieren. Sogar angesehene Schriftsteller und Wissenschaftler fielen darauf rein. Nur den Zauberkünstlern konnten sie nichts vormachen. Es gab damals einen sehr bekannten Zauberer - er hieß Harry Houdini - der all diese Schwindler aufdeckte. Und ich dachte, es wäre vielleicht eine interessante Idee für einen Film so einen rationalen und grundehrlichen Zauberer mit einer kleinen, amerikanischen Schwindlerin von der Straße zusammenzubringen.

Sie sind aber dann kein Zauberkünstler, sondern Filmregisseur geworden. Was haben die beiden Berufe gemeinsam?

Zwischen Magie und Film gibt es eine starke Verbindung. In beiden Fällen sieht das Publikum nicht, welche Tricks wir anwenden, um eine Illusion zu erzeugen. Im Kino glaubt man für zwei Stunden, dass das, was man auf der Leinwand sieht, real ist. Wir glauben, dass Fred Astaire und Ginger Rogers in Top Hat so leicht und glücklich auf einem Boot tanzen und Champagner trinken. Dabei sah es bei den Dreharbeiten ganz anders aus: Die haben bis tief in die Nacht geschuftet und waren nass geschwitzt. Die Schuhe haben gedrückt und der Smoking gezwickt. Fred Astaire hat nur geflucht und Ginger Rogers war stinksauer. Aber dennoch sieht auf der Leinwand alles wie ein himmlisches Vergnügen aus. Genauso wie Zauberer erschaffen Filmemacher eine gefälschte Illusion, damit die Zuschauer sich des Lebens erfreuen können.

Dazu gehört auch die romantische Illusion, der Colin Firth als Skeptiker in Ihrem Film erliegen darf...

Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich ein Romantiker bin. Männer sind sowieso viel romantischer als Frauen. Das ist durch wissenschaftliche Untersuchungen längst bewiesen. Ich habe die Frauen in meinen Filmen immer romantisiert: Diane Keaton, Scarlett Johansson und jetzt die wunderbare Emma Stone. Genauso habe ich New York City oder Paris romantisiert. Ich hatte immer einen sehr romantischen Blick auf die Welt. Aber das hält mich nicht davon ab, ein unbelehrbarer Realist zu sein, wenn es um die menschliche Verfassung geht.

Das heißt, Sie glauben, wie Ihre Hauptfigur, nicht an irgendetwas Übernatürliches, das jenseits unserer Realität existiert?

Nein, es gibt nur das, was wir vor uns sehen. Das ist alles. Wir haben nur ein Leben und wenn es vorbei ist, ist es vorbei. Es gibt keinen Gott, keine Magie, keinen tieferen Sinn im Universum. Eines Tages wird die Sonne ausbrennen und das Leben auf der Erde zu Ende sein. Alles, was Shakespeare geschrieben oder Beethoven komponiert hat, wird keine Rolle mehr spielen. Die Welt ist sinnlos und nicht zu verstehen. In diesem Sinn bin ich ein bekennender Realist. Auf der anderen Seite sind meine Handlungen im Alltag alles andere als realistisch motiviert. Ich habe in meinem Leben sehr viele dumme Dinge gemacht, weil ich nicht in der Lage war, die Situation realistisch einzuschätzen und meine Entscheidung danach auszurichten. Ich komme mir sehr intelligent vor, wenn ich über das große Ganze nachdenke, und ziemlich dumm, wenn ich mich in die Niederungen des Alltags begebe.

Woher speist sich Ihr offensiver Pessimismus?

Da bin ich mit Nietzsche, Freud und dem amerikanischen Dramatiker Eugene O'Neill in bester Gesellschaft. Sie haben den pessimistischen Gedanken gemeinsam, dass der Mensch mit zu viel Wahrheit nicht leben kann. Nietzsche wie Freud waren der Meinung, dass wir uns selbst betrügen müssen, um unsere Existenz zu ertragen. O'Neill sagte, dass der Mensch Illusionen wie Gott oder den Kommunismus braucht, um zu überleben. Und das stimmt. Die Natur hat jeden von uns mit einem Verleugnungsmechanismus ausgestattet. Und wenn der nicht richtig funktioniert, kann das Leben sehr traurig werden. Denn wenn man die Wirklichkeit nicht verleugnet, ist man immer mit der fürchterlichen Wahrheit unserer sinnlosen Existenz konfrontiert.

Sie haben inzwischen mehr als 45 Filme gedreht - das klingt für einen Außenstehenden erst einmal nicht nach einer sinnlosen Existenz...

Nein, ich bin sehr glücklich, dass ich mein Leben als Filmemacher verbringen durfte. Ich hatte vom ersten Film an immer die volle kreative Kontrolle. Niemand hat mir gesagt, wen ich casten soll. Kein Produzent hat mein Drehbuch vorher zu lesen bekommen. Wenn einer meiner Filme nichts taugte, trug ich ganz alleine die Verantwortung. Ich schätze mich sehr glücklich, dass ich so viele Filme machen konnte. Dabei waren auch einige, die ihr Geld nicht einspielten, und trotzdem konnte ich das nächste Projekt finanzieren. Ich hatte ein sehr glückliches Leben im Filmgeschäft. Am Morgen zur Arbeit zu gehen und da sind Scarlett Johannsen, Emma Stone oder Colin Firth - alles ungeheuer gut aussehende, charmante, humorvolle und kreative Zeitgenossen. Die Arbeit mit Schauspielern, Kostümbildnerin oder Komponisten macht mir große Freude. Das ist eine tolle Art, seine Zeit zu verbringen verglichen mit irgendeinem Job auf dem Bau oder im Büro.

Allerdings nehme ich meine eigene Arbeit auch nicht zu ernst. Ich bin nicht der Meinung, dass ich irgendwelche großen Meisterwerke erschaffen habe. Ich habe gute, mittelmäßige und schlechte Filme gemacht. Gemessen an den Möglichkeiten, die mir geboten wurden, müsste ich wenigstens ein paar großartige Werke hervorbringen müssen. Wenn ich weniger faul gewesen wäre, hätte ich sicher eine eindrucksvollere Filmografie auf die Beine stellen können.

Entwickelt man durch die jahrzehntelange Erfahrung ein Gespür dafür, ob ein Film an der Kinokasse erfolgreich sein wird?

Nein, das lässt sich überhaupt nicht vorhersehen. Als wir Midnight in Paris gedreht haben, dachten wir: Das ist eine schöne Idee, aber das wird nie und nimmer ein populärer Film. Die meisten Kinogänger sind jung und haben noch nie etwas von Gertrude Stein gehört oder einen Roman von Ernest Hemingway gelesen. Wir dachten, den Film würden sich nur ein paar Leute anschauen, aber dann war er in der ganzen Welt von Israel über Japan bis nach Argentinien ein Riesenerfolg. Auch der Erfolg von Blue Jasmine hat mich überrascht, weil in den Staaten ernste Themen meistens nicht so gut ankommen. Auf der anderen Seite war ich mir sicher, dass Hollywood Ending gut laufen würde. Ich fand ihn wirklich lustig und auch ganz gut gemacht. Aber keiner wollte ihn sehen. Ich habe keine Ahnung, warum die Zuschauer ins Kino strömen oder zu Hause bleiben, und ich glaube es ist das Beste, sich darüber keine Gedanken zu machen.

Interview: Martin Schwickert