INTERVIEW MIT KEVIN BACON

DER ECHTE KEVIN
Kevin Bacon erzählt, warum Interviews immer gelogen sind, Schauspielern gut für die seelische Gesundheit ist und warum er sich über Amerika wundert


Wie sind Ihre eigenen Erfahrungen mit dem Berühmtheitskult in Hollywood?
Als ich sehr jung war und das erste Mal auf das Titelblatt des People Magazine kommen sollte, hat mir das ziemliche Angst gemacht, weil ich mich als ernsthafter Schauspieler verstand. Die Idee, dass Bilder von meiner Küche und meiner Katze veröffentlicht wurden, war für mich der reinste Alptraum. Heute würde ich mir die Finger danach lecken, auf so eine Titelseite zu kommen.
Macht Berühmtsein süchtig?
Auf jeden Fall, und es ist sehr schwer wieder davon loszukommen. Im Film fragt Lanny die jungen Reporterin am Telefon: Hast du meine Show heute morgen im Fernsehen gesehen? Dass eine 25jährige Frau es vorzieht auszuschlafen, ist für ihn ein sicheres Zeichen, dass sein Ruhm langsam zerfällt. Wer von einem Film zum nächsten hetzt und sein Leben nur hierüber definiert, landet zwangläufig in der Krise, sobald der Ruhm ihn verlässt. Und das passiert jedem großen Star irgendwann.
In »Wahre Lügen« werden die Interviews zu einem Katz & Maus-Spiel. Wie schwer ist es den echten Kevin Bacon in einem Interview kennen zu lernen?
Das Geheimnis eines Interviews ist es, den Eindruck zu erwecken, als ob Sie mit dem echten Kevin Bacon sprächen. Für Leute unserer Branche sind solche Interviews die größte schauspielerische Herausforderung. Man unterbricht sich selbst im Satz, schaut dem Interviewer genau in die Augen, sagt etwas aus tiefstem Herzen und tut so, als ob man gerade sein wahres Ich preis geben würde. Lanny sagt einmal im Film zu einem Reporter, als er nach seinem wahren Ich gefragt wird: Mein wahres Ich - das wollen Sie nicht kennen lernen.
Wo kann man Ihr wahres Ich kennenlernen?
Am ehesten in meiner Musik. Songs zu schreiben, ist für mich die beste Therapie. In den Texten steckt mehr von mir, als ich je in einem Interview preis gegeben habe. Wenn ich dann auf der Bühne stehe und diese Songs singe, fühle ich mich sehr viel nackter, als in all den Filmen, in denen ich mich vor der Kamera ausgezogen habe.
In den USA wurde Wahre Lügen aufgrund seiner Sexszenen von der Filmkontrolle erst "ab 17" freigegeben...
Ja, und das Schlimmste ist, dass jetzt alle denken, dass dies ein Sexfilm ist. In unserem Land verschwindet die Grenze zwischen Kirche und Staat zunehmend. Die Menschen können ja glauben, was und woran sie wollen. Aber diese Leute sollen ihre Moral nicht auf den Rest von uns übertragen, die andere Vorstellungen haben. Die Art, wie Sex in diesem Film dargestellt wird, ist für mich absolut angemessen. Es geht ja gerade darum, wie die Macht der Berühmtheit auf sexuelle Weise missbraucht wird. Und ich glaube, wenn die Szene nicht mit einem homosexuellen Akt enden würde, hätten die Zensurbehörden den Film freigegeben. Es gibt eine Menge extrem gewalttätige Filme, in denen Frauen viel stärker zum Objekt gemacht werden, die ihre Altersfreigabe bekommen, bloß weil die Akteure genügend Kleider anhaben.
Wie gut muss die Chemie zwischen zwei Schauspielern sein, um eine solche Szene zu drehen?
Ich glaube in diesem Zusammenhang nicht an den Begriff Chemie. Ich habe schon oft mit Leuten gute Szenen gespielt, obwohl ich sie nicht ausstehen konnte. Und umgekehrt: Mit guten Freunden Szenen, die überhaupt nicht funktioniert haben. Ich kannte Colin vor den Dreharbeiten überhaupt nicht, aber wir haben es sehr genossen miteinander zu arbeiten. Wir haben die Beziehung unserer Figuren gemeinsam mit Egoyan entwickelt.
In »Woodsman« haben Sie einen Pädophilen gespielt, davor einen Kindesentführer, jetzt einen zynischen Entertainer - was leben Sie als Schauspieler in diesen düsteren Charakteren aus?
Mindestens einmal am Tag treffe ich auf jemanden, dem ich am liebsten eine reinschlagen würde. Aber ich tue es nicht, weil ich in einer zivilisierten Gesellschaft lebe, verheiratet bin und zwei Kinder habe. Aber beim Drehen kann man das alles ausleben. Man kann zum Mond fahren, ins Gefängnis gehen oder eine schöne Frau küssen. Das ist gut für die seelische Gesundheit.

Interview: Martin Schwickert

Hier geht's zum Film zum Interview