Leonardo DiCaprio

Die dunkle Seite

Leonardo DiCaprio über Gier, den Film »The Wolf of Wall Street« und warum wir nichts aus der Geschichte lernen


Der Film zum Interview

Die Gier nach immer mehr Geld ist der Motor von Jordan Belforts Existenz als Finanzmakler. Woher kommt dieses unersättliche Bedürfnis?

In diesem Film geht es um Habgier, aber das ist nicht - wie viele denken - nur ein Phänomen des Kapitalismus und des modernen Amerikas. Habgier ist eine fundamentale Eigenschaft fast aller Lebewesen, mit der sie versuchen das Überleben ihrer Spezies zu sichern. Wir wollten in diesem Film und an der Figur Jordan Belforts analysieren, welche enorm destruktiven Auswirkungen diese Habgier in unserer heutigen Gesellschaft hat.

Wie verändern sich Menschen durch plötzlichen Reichtum?

Bis zu einem gewissen Grad sind wir alle fasziniert von der Macht des Geldes. Ich bin in meinem Leben vielen Menschen begegnet, die vollkommen besessen vom Reichtum sind. Und das hört komischerweise nie auf. Wenn sie einen gewissen Wohlstand erreicht haben, versuchen sie auf das nächste Level zu kommen. Ich persönlich bin der Meinung, dass Menschen, die ein bestimmtes Maß an Reichtum erlangt haben, dazu verpflichtet sind, der Gesellschaft wieder etwas zurückzugeben.

»Wolf of Wall Street« stürzt sich in die hedonistische Welt der Broker, ohne sich davon zu distanzieren. Warum haben Sie sich für diesen direkten Zugang entschieden?

Wir wollten zeigen, dass diese Leute in einer isolierten Umgebung leben, in der es keine moralischen Regeln gibt. Was geschieht mit Menschen, die derart vom Reichtum besessen sind und jeder Versuchung nachgeben? Das Publikum soll selbst in diesen sehr zerstörerischen Bewusstseinszustand hineingezogen werden. Wir wollten keine didaktische Version der Geschichte erzählen und den Zuschauern vorschreiben, was sie zu denken haben. Wir haben bewusst auf innerfilmische Stellungnahmen verzichtet, die auf die moralische Verwerflichkeit der Figuren verweisen. Der Film schwenkt nicht auf die Seite der Opfer, die durch die Geldspekulationen reihenweise in den Ruin getrieben werden. Und Belfort wird am Ende auch nicht angemessen für sein verbrecherisches Handeln bestraft.

Wie gewagt ist diese nicht moralisierende Darstellung unmoralischen Handelns für einen amerikanischen Film?

Das ist natürlich eine Provokation und auch als solche gemeint. Martin Scorsese wollte, dass das Publikum komplett eintaucht in die Gedankenwelt dieser Leute, um die dunklen Seiten unserer menschlichen Existenz besser zu verstehen. Solche Filme sind wichtig. Wir können nicht immer nur Filme machen, in denen der traditionelle Held das Richtige tut und die Schurken gebührend bestraft werden. Das ist nicht die Welt, in der wir leben. Diese Leute haben sich aufgeführt wie römische Herrscher, ohne auch nur einen Moment an die Konsequenzen zu denken, die ihr Handeln für Andere hat. So sind diese Typen. Und das soll man auch auf der Leinwand sehen.

Trotz Wirtschafts- und Bankenkrise hat sich an der Struktur der Finanzmärkte und den politischen Rahmenbedingungen kaum etwas geändert. Hat unsere Gesellschaft nichts aus der Krise gelernt?

Vor Wolf of Wall Street habe ich im letzten Jahr The Great Gatsby gedreht. Die Parallelen zwischen den Ursachen der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre, die Fitzgerald damals in seinem Roman vorhergesehen hat, und der heutigen Situation liegen auf der Hand. Aber es scheint so, dass die Söhne nichts aus den Erfahrungen der Väter lernen. Immer wieder entstehen in den Wirtschaftsinstitutionen Schlupflöcher, die eine Brutstätte für Typen wie Jordan Belfort werden. Und keiner von denen muss für sein unverantwortliches Handeln wirklich geradestehen. Im Gegenteil: Sie werden noch mit einem Bonus belohnt.

Klingt ziemlich pessimistisch...

Ehrlich gesagt, finde ich den Zustand unserer Welt beängstigend. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. Trotz des Crashs von 2008 leben wir weiter über unsere Verhältnisse und halten an der Kultur der Habgier fest - und ich sehe nicht, dass sich daran in näherer Zukunft grundsätzlich etwas ändern wird.

Interview: Martin Schwickert