Joel und Ethan Coen über »Inside Llewyn Davis«

»Wer will schon einen Film über Bob Dylan machen?«

Joel und Ethan Coen über »Inside Llewyn Davis« und wie man Katzen inszeniert

"Inside Llewyn Davis" spielt in der New Yorker Folk-Musik-Szene der frühen sechziger Jahre. Was hat Sie an dieser Zeit und diesem Milieu gereizt?

Ethan Coen: Es war eine sehr kleine, abgeschottete Szene, die erst ein paar Jahre später durch das Auftauchen Bob Dylans auch kommerziell erfolgreich wurde. Wir haben die Vor-Dylan-Ära gewählt, weil die Musik aus dieser Zeit weniger bekannt ist. Gerade die Unvertrautheit mit dieser Ära hat uns gereizt, weil wir dadurch auch freier im Umgang mit der Musikgeschichte waren und unsere Figuren so gestalten konnten, wie wir es wollten.

Joel Coen: Das Jahr 1961 gehört kulturgeschichtlich ja noch in die fünfziger Jahre. Solche Übergangsphasen sind besonders interessant. In dem Moment, wenn am Ende des Films Bob Dylan auf die Bühne tritt, beginnen die Sechziger.

Ethan Coen: Aber wer will schon einen Film über Bob Dylan machen?

Todd Haynes zum Beispiel hat das mit "I'm not there" doch ganz gut gemacht...

Joel Coen: Stimmt, aber er hat auch einen abstrakten Ansatz gefunden und kein klassisches Biopic im Sinn gehabt. Inside Llewyn Davis will ja auch kein Biopic über Dave Van Ronk sein, von dessen Memoiren wir uns inspirieren ließen. Wir haben nur einige Elemente aus dem Buch verwendet und daraus dann unsere eigenen Figuren entwickelt.

Neben der Titelfigur spielt in »Inside Llewyn Davis« eigentlich die Katze die zweite Hauptrolle. Wie hat die sich in den Film geschlichen?

Joel Coen: Irgendwann haben wir realisiert, dass unsere Geschichte nicht sehr viel an Plot zu bieten hat, und da dachten wir: Werfen wir doch mal eine Katze rein. Und es stimmt tatsächlich, dass die Katze entscheidend dazu beiträgt, die Story voranzubringen. Es ist eine Geschichte über einen Mann, der seine Mitmenschen permanent verärgert. Ihm eine Katze zur Seite zu stellen, zu der er eine ganz unkomplizierte Beziehung hat, war ein interessanter Kontrapunkt für die Story.

Wie gibt man einer Katze Regieanweisungen?

Joel Coen: Man kann Katzen nicht wirklich trainieren. Man braucht mehrere verschiedene Tiere. Eine, die immer wegläuft, und eine andere, die man herumtragen kann.

Ethan Coen: Man verschwendet viel Filmmaterial mit diesen Tieren. Das kann schon mal zwanzig Minuten dauern, bis so eine Katze in die richtige Richtung geht.

Joel Coen: Und das kann einem ganz schön auf die Nerven gehen. Aber ab einem gewissen Punkt der Dreharbeiten konnten wir der Katze nicht mehr kündigen. Wir hatten schon zu viel mit ihr gedreht und sie als eigenständige Figur eingeführt.

»Inside Llewyn Davis« zeigt, dass künstlerischer Erfolg nicht immer nur etwas mit Talent, sondern auch mit Glück und gutem Timing zu tun hat. Ist der Film auch eine Hommage an die talentierten, aber erfolglosen Künstler, die Sie hätten sein können, wenn Sie weniger Glück in Ihrer Karriere gehabt hätten?

Ethan Coen: Genau aus diesem Grund haben wir uns der Figur sehr verbunden gefühlt. Es gibt eine Menge talentierte Menschen, die einfach keinen Erfolg haben. Und man fragt sich dann, ob das an einem selbst liegt oder an den Lebensumständen.

Joel Coen: Das sind für alle Künstler sehr vertraute Fragen, die der Film aufwirft, ohne sie explizit beantworten zu wollen. Wir dachten, es sei interessant, einen Film über einen Typen zu machen, der sehr gut ist in dem, was er tut, aber trotzdem ein Verlierer bleibt. Aus der Frage, warum das so ist, ließ sich eine interessante Geschichte entwickeln. Natürlich hat Llewyn einen sehr selbstzerstörerischen Charakter. Aber es gibt wiederum genug talentierte selbstzerstörerische Menschen, die trotzdem Erfolg haben. Vielleicht hat er einfach nur Pech oder ein schlechtes Timing. Darauf will der Film keine gültige Antwort geben.

Können Sie sich denn Ihren eigenen Erfolg erklären?

Joel Coen: Genauso wenig, wie ich Llewyns Misserfolg erklären kann. Ich weiß, dass wir großes Glück hatten. Aber welchen Anteil dieses Glück an unserem Erfolg hatte, kann ich nicht beurteilen. Wir sind alle Opfer und Nutznießer all der seltsamen Dinge, die uns das Leben vor die Füße wirft.

Ethan Coen: Unser Erfolg ist ein kontinuierlicher Quell der Überraschung, aber wir versuchen natürlich, wenn wir einen Film planen, realistisch einzuschätzen, was der Film kostet und welches kommerzielle Potenzial er hat. True Grit etwa hatte ein sehr viel höheres kommerzielles Potenzial als ein Film wie Barton Fink. Man muss da zu einer realistischen Einschätzung kommen, was sich dann auch auf den wirtschaftlichen Erfolg des Filmes auswirkt.

Welcher Ihrer Erfolge hat Sie am meisten überrascht?

Ethan Coen: Fargo - da hatten wir mit einem sehr viel kleineren Zuschauerspektrum gerechnet. Und The Big Lebowski, der beim Start gar nicht so viel einspielte, aber dann später diesen seltsamen Kultstatus bekam. Dass der Film einmal zu einer Art Religion werden würde - damit haben wir nicht gerechnet.

Joel Coen: In musikalischer Hinsicht war O Brother, Where Art Thou die größte Überraschung. Unser Musikproduzent T-Bone Burnet hat immer gesagt, dass diese Hillbilly-Musik noch einmal ganz groß rauskommt, aber keiner wollte ihm glauben. Die Platte hat sich dann mehr als zwei Millionen Mal verkauft.

Im Film geht es auch darum, inwieweit man sich seine künstlerische Authentizität im Entertainment-Betrieb bewahrt. Sie gehören zu den wenigen Filmemachern, die sich nun fast dreißig Jahre lang die kreative Kontrolle bewahrt haben. Wie haben Sie das geschafft?

Ethan Coen: Am Anfang unserer Karriere waren wir im Grunde genommen totale Opportunisten. Wir wären gerne bereit gewesen, uns zu verkaufen, aber wir haben einfach keinen Käufer gefunden. Und das war vielleicht unser Glück, denn aus der Not heraus mussten wir unser eigenes Ding machen. Unsere kreative Eigenständigkeit ist nicht nur das Ergebnis eines Kalküls, sondern auch die Folge dessen, was die Welt bereit war uns zu geben.

Joel Coen: Als wir unser erstes Drehbuch geschrieben hatten, machten wir uns auf die Suche nach Finanziers. Wäre damals ein großes Studio gekommen und hätte gesagt: "Wir finanzieren euren Film, aber wir wollen, weil ihr Anfänger seid, die Kontrolle über bestimmte Dinge haben", hätten wir sofort zugestimmt. Aber das hat keiner getan. Deshalb mussten wir selbst die Finanzierung auf die Beine stellen und konnten dadurch alles genauso machen, wie wir es wollten. Daran hatten wir uns dann so gut gewöhnt, dass wir einfach so weitergemacht haben.

Interview: Martin Schwickert