MATT DAMON ÜBER »DIE BOURNE IDENTITÄT«

Der Gang eines Boxers

Matt Damon über intelligente Action, starke Frauen und seinen neuen Film »Die Bourne Identität«


Der Film zum Interview

»Bourne Identity« ist Ihr erster Actionfilm. Was hat Sie an dem Projekt gereizt?

Amerikanische Action-Filme funktionieren ja meistens wie Pornos. Es wird ein bißchen hin- und hergeredet, dann startet aus dem Nichts heraus die Action - bis zur nächsten schlechten Dialogsequenz. Die Story von Bourne Identität hingegen wird von den Charakteren bestimmt, die Action entwickelt sich organisch aus der Geschichte. Doug Liman wollte einen europäischen Actionfilm machen. Die amerikanische Filme, die in Europa gedreht werden, sehen meistens wie Touristen-Videos aus: hier der Eifelturm, dort der Triumphbogen, und fast jede Szene wird auf die Champs-Elysées verlegt. Deshalb hat Liman eine Pariser Crew engagiert, die uns an Orte gebracht hat, die man in einem US-Film normalerweise nicht sieht.

Was unterscheidet die Bourne-Figur von anderen Actionhelden?

Die Intelligenz. Er macht immer genau das Gegenteil von dem, was man erwartet. Vor einer Autoverfolgungsjagd schaut Bourne zuerst auf den Stadtplan. Das hat man vorher in einem Actionfilm noch nicht gesehen, obwohl es doch logisch ist, erst einmal zu schauen, wohin man flüchtet. Wenn Bourne eine Pistole hat und von den Sicherheitsleuten in der Botschaft verfolgt wird, wirft er die Knarre weg, schaut auf den Fluchtwegeplan, hört den Funk ab, geht nicht die Treppe runter, sondern rauf und findet so seinen Weg heraus aus dem Gebäude. Die amerikanische Art wäre normalerweise, dass der Held die Pistole gegen eine noch größere Wumme eintauscht und sich den Weg zum Hauptausgang mit einem möglichst hohen "Bodycount" freischießt.

Für die Actionsequenzen mussten Sie hart trainieren. Wie weit würden Sie gehen, um eine Rolle zu bekommen?

Bisher ist mir noch nichts untergekommen, was ich nicht gerne ausprobiert hätte. Aber ich werde bestimmt auch einmal älter und bequemer. Die meisten Kampfszenen habe ich selbst gemacht. Doug Liman war der Überzeugung, dass das Publikum merkt, wenn ich in einer Nahaufnahme mit einem Kampf beginne und dann ein Stunt-Double die Arbeit in der Totalen fortsetzt. Ich habe fünf Monate Martial Arts trainiert. Außerdem wollte Doug Liman, dass ich wie ein Boxer durch den Film gehe. Das Boxtraining hat mein Körpergefühl komplett verändert. Der Körper ist mehr in der Balance und man bewegt sich automatisch zielgerichteter.

Jetzt werden Sie mit Vin Diesel zusammen als neuer Action-Star gefeiert....

(lacht, dann mit tiefer verstellter Vin-Diesel-Stimme): Da habe ich keine Probleme mit. Nein, im Ernst: Ich entwerfe keine Makrostrategien für meine Karriere. Ich hangele mich eher von Projekt zum nächsten.

Wie war die Arbeit mit Franka Potente verglichen mit anderen, erfahreneren Hollywoodschauspielerinnen?

Es gab eine ganze Reihe von namhaften US-Schauspielerinnen, die die Rolle haben wollten. Aber Doug Liman sagte: Das ist lächerlich. Bourne irrt durch Europa. Warum soll er da gerade an eine Amerikanerin geraten? Er wollte eine Europäerin für die Rolle. Franka ist eine sehr gute Schauspielerin: professionell, talentiert und diszipliniert. Sie ist eine starke Persönlichkeit und hat dadurch auch eine starke Leinwandpräsenz. Das war genau das, was wir für unseren Film wollten. Denn viel zu oft sind Frauenfiguren in Actionfilmen wie eine vergessene Zutat beim Kuchenbacken, die noch schnell nachträglich hineingerührt wird.

Was halten Sie von dem heutigen Starsystem in Hollywood, in dem Schauspieler wie Sie zehn Millionen für einen Film bekommen und der Einfluss der Regisseure auf den Film immer kleiner wird?

Wenn die Schauspieler für ein Filmprojekt unter Vertrag genommen werden, bevor der Regisseur feststeht, ist das ein Zeichen für den desatrösen Zustand der Filmindustrie. Kino ist das Medium der Regisseure. Vor ein paar Tagen war ich in Frankreich zu einer Premiere eines Filmes, den ich mit Gus Van Sant gemacht habe. Die Leute sind da nicht wegen mir reingegangen, sondern weil es ein Film von Gus Van Sant war. In Frankreich zählt der Regisseur mehr als der Schauspieler, und so sollte es auch sein.

Wie gehen Sie mit diesem Starsystem um?

Ich sage jedem, mit dem ich einen Film mache, dass ich nicht der 400-Pfund-Gorilla bin. Mein Job ist es, die Vision des Regisseurs zu unterstützen. Nicht mehr und nicht weniger.

Aber auch die setzt sich im Hollywoodsystem immer weniger durch. Mit ihrem letzten Film »All die schönen Pferde« von Billy Bob Thornton waren Sie nicht zufrieden...

...weil das Studio den Film vollkommen verschnitten hat. Das war sehr traurig für mich, denn die Version von Billy Bob Thornton, die keiner kennt, halte ich nach wie für einen der besten Filme, die ich gemacht habe. Aber es war vielleicht auch unsere Schuld. Wir hätten das Projekt mit weniger Geld realisieren sollen. Bei einem Budget von 45 Millionen Dollar verliert man die künstlerische Kontrolle, weil die Studios ihre Investitionen wieder reinholen wollen.

Ähnlich wie ihre Figur in »Bourne Identität« arbeiten Sie auch in Ihrem Beruf mit wechselnden Identitäten. Stehen Sie auch manchmal - wie Bourne - vor dem Spiegel und fragen sich: Wer bin ich eigentlich?

Ich glaube nicht, dass ich das als Schauspieler öfter tue als jeder andere. Im Leben muss man sich selbst immer wieder neu hinterfragen. Manchmal ist man so beschäftigt, dass man keine Zeit hat, über sich selbst zu reflektieren. Aber ich finde, jeder sollte diese Momente vor dem Spiegel haben und das eigene Leben immer wieder neu überdenken.

Interview: Martin Schwickert