JULIE DELPY ÜBER »DIE GRÄFIN«

Angst vorm Ende

Julie Delpy über ihre Regiearbeit »Die Gräfin« und ihre Vorliebe für psychotische Charaktere


Die Kritik zum Film

Wie sind Sie nach der Komödie »2 Tage Paris« auf diesen historischen Stoff gekommen?

Auf die Geschichte bin ich vor langer Zeit gestoßen und mir gefiel der Mythos, der sich um Erzsébet Báthory rankt. Mir war von Anfang an klar, dass das nicht der Stoff für einen Horrorfilm ist, eher für eine Art griechische Tragödie. Hier geht es um Schönheit und ewige Jugend, Liebe und Leidenschaften, Verrat und Verlassenwerden.

Wie hat sich dieser Mythos durch die Jahrhunderte verändert?

Es gibt eine Unmenge von Büchern über Erzsébet Báthory. Geschichte wird immer von den Siegern geschrieben und so galt Erzsébet über Jahrhunderte als Wahnsinnige, während neuere Forschungen belegen, dass man ihr Einiges einfach nur angehängt hat, um sie zu beseitigen und an ihr Geld heranzukommen.

Was hat Sie an dieser düsteren Figur gereizt?

Ich mag psychotische Charaktere. Ich bin mit den Filmen aus den siebziger Jahren aufgewachsen. In der französischen Novelle Vague und in den Scorsese-Filmen waren die Bösen noch die echten Helden. Dann kamen die Achtziger mit Forrest Gump und haben alles kaputt gemacht. Forrest Gump ist für mich der reinste Horror. Er ist nett, dumm und für den Krieg. Fast so schlimm wie George W. Bush.

War Erzsébet als Frau ihrer Zeit voraus?

Obwohl es auch zu dieser Zeit schon einige mächtige Frauen wie etwa die englische Königin Elisabeth I. gab, wurden die meisten Frauen als dumm oder von Grund auf böse stigmatisiert. Wenn ein Mann - so die geläufige Vorstellung - seine Frau nicht schlug, werde sie am Ende mit dem Teufel höchstpersönlich ins Bett steigen.

Ist »Die Gräfin« ein feministischer Film?

Beim Feminismus geht es nicht darum, dass die Frauen großartig, stark und perfekt sind, sondern darum, dass Frauen und Männer gleichgestellt sind. Ich glaube nicht, dass wir in einer besseren Welt leben würden, wenn die Frauen an der Macht wären. Ich habe wunderbare und ganz schreckliche Frauen in meinem Leben kennen gelernt und das Gleiche gilt auch für Männer. Wir sind alle Individuen, und jeder Mensch hat auch dunkle Seiten.

Der Film ist in Ungarn angesiedelt, wurde mit einem internationalen Cast und einer deutschen Produktionsfirma auf Englisch gedreht und wirkt trotzdem sehr französisch.

Auch wenn ich schon lange in den USA lebe, bin ich von der französischen Kultur geprägt. Das werde ich einfach nicht los. So ist dieser Film eigentlich mehr durch Marquis de Sade beeinflusst, als durch die ungarische Geschichte. De Sade habe ich schon zu Schulzeiten gelesen. Seine Vorstellung von Perversion - etwas Reines zu nehmen und es zu zerstören - hat mich immer schon fasziniert. Und so habe ich das ungarische Gulasch eben mit meiner eigenen französischen Soße versetzt.

Wenn Sie keinen Horrorfilm drehen wollten, wie sind sie dann mit den unausweichlichen Gewaltszenen umgegangen?

Ich wollte, dass die Gewalt schmerzhaft, aber nicht lustvoll ist. Ich mag keine Filme, in denen die Leute sich gegenseitig umbringen und sich das Publikum dabei ganz köstlich amüsiert. Gewalt ist kein Spaß. Leute ermorden - das ist nicht nett.

Wie eng hängen Schönheit und Macht zusammen?

Erzsébet verliert ihre Macht in dem Moment, in dem sie ihre Schönheit einbüßt. Diese Angstvorstellung ist auch heute noch sehr aktuell. Schauspieler, Geschäftsleute und Politiker versuchen ihre Macht dadurch zu bewahren, dass sie versuchen, ewig jung zu erscheinen. Als Geschäftsmann darf man nicht müde aussehen. Falten sind verpönt. Ich hingegen liebe Falten. Ich habe großen Respekt vor älteren Menschen. Vanessa Redgrave etwa sieht doch toll aus, gerade weil sie keine Schönheits-OP gemacht hat.

Das heißt, Sie haben keine Angst vor dem Altern?

Natürlich sehe ich meinen Falten nicht mit Freuden entgegen, weil sie zeigen, dass die Zeit vergeht und ich dem Ende meines Lebens ein Stück näher gekommen bin. Klar habe ich Angst vor Krankheit und Tod. Aber nicht vor Falten.

Interview: Martin Schwickert