Doris Dörrie über »Alles inklusive«

Bettenburg und Astronauten

Die Regisseurin über den Film zum Buch der Autorin

Warum haben Sie mit Spanien der Deutschen liebstes Urlaubsland als Hintergrundkulisse für diese Geschichte gewählt?

Mich haben schon immer die Träume interessiert, die wir Deutschen mit diesem Land verbinden. Wir haben die Vorstellung, dass wir uns unter der Sonne des Südens verändern und im Urlaub wirklich wir selbst sein können. Schon zur Hippiezeit spielten Ibiza, Formentera oder Torremolinos als Sehnsuchtorte der Selbstbefreiung eine große Rolle. Heute ist die spanische Mittelmeerküste von der Tourismusindustrie vollkommen zubetoniert - eine ideale Kulisse, um zu zeigen, was aus den alten Träumen geworden ist. Die Spanier haben den Deutschen die Sonne verkauft. Wir haben uns auf diesen Deal eingelassen und wollten sie auch möglichst billig haben! Spanien hat an dieser Küste unglaubliche Bausünden begangen und daraus seinen Profit gezogen. Aber wir sind mit der Verschandelung dieser Landschaft unauflösbar verbunden.

Werden Sonne und Meer als Glücksspender überschätzt?

Es macht mir auch weniger Mühe, heiter zu sein, wenn die Sonne scheint. Ich war die ganze Drehzeit über selig, obwohl wir ja auch in so einem Hotelbunker gewohnt haben. Ich habe morgens das Meer gesehen, konnte vor und nach dem Drehen schwimmen gehen. Ich verstehe diese Sehnsucht gut.

Aber was treibt die Menschen zum Pauschalurlaub in Bettenburgen?

Mit meinen Studenten mache ich jedes Jahr eine Exkursion und irgendwann wurden Deutschland und Österreich einfach zu teuer. Deshalb sind wir in den letzten Jahren immer in All-Inklusive-Hotels in der Türkei und Spanien gelandet, weil man dort durch die bizarre Preispolitik für 260 Euro Flug, Verpflegung und Unterkunft bekommt. Ich habe viel mit dem Personal dort gesprochen: den Animateuren, Kellnern und Reiseführern, aber auch mit den Touristen, für die mein Verständnis immer weiter gewachsen ist. Für viele ist es das Paradies. Es ist billig, man kann es sich leisten. Manche haben zuhause schwierige Lebensumstände und nur diese eine Woche im Jahr, in der man sich bedienen lassen kann und nicht mehr über Geld nachdenken muss. Wie arrogant, darüber die Nase zu rümpfen!

Im Zentrum von »Alles Inklusive« steht eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung. Haben die libertären Konzepte von damals vorwiegend Neurosen hervorgebracht?

Der Hippie-Generation kann man sicherlich vieles vorwerfen: Dass sie es nicht geschafft hat, ihren Kindern ein Gefühl von Sicherheit zu geben, dass Frauen wie Ingrid nie wirklich Verantwortung übernommen haben - eine ganze Palette an berechtigten Vorwürfen, die Apple ja auch formuliert. Auf der anderen Seite hat Ingrid etwas, was ihrer Tochter fehlt. Nämlich die Fähigkeit, sehr spontan auf eine Situation zu reagieren.

Hat der Hedonismus der 70er Positives bewirkt?

Die Hippies haben viele Freiheiten für die nachfolgenden Generationen durchgesetzt. Ich habe selbst davon profitiert. Ich gehöre ja nicht zu Ingrids Generation. Ich war sozusagen der Babysitter von Apple. Ich habe damals mit 18 auf diese Kinder aufgepasst, weil die Eltern mit sich selbst beschäftigt waren, oft auch in Verbindung mit Drogen, während die Kinder sich selbst überlassen waren. Diese Kinder waren wie kleine Astronauten, die losgelöst durch den Raum trieben.

Mit »Alles inklusive« haben Sie Ihren eigenen Roman verfilmt. Was macht Sie glücklicher: Die Arbeit am Schreibtisch oder Filmemachen?

Ich brauche den Wechsel. Ich bin gern allein und schreibe. Aber dann habe ich auch wieder eine solche Sehnsucht danach, gemeinsam mit den Schauspielern und dem ganzen Team, Ideen zu entwickeln. Das ist ein ganz anderer kreativer Prozess. Wenn ich über Wochen und Monate so viel mit Leuten gequatscht habe, bin ich auch wieder ganz gern allein und halt die Klappe.

Interview: Martin Schwickert