Andreas Dresen über »Willenbrock«

Erschlichener Wohlstand

Die neuen Leiden des ostdeutschen Mittelstandes


Die Kritik zum Film

»Willenbrock« ist Ihre erste Literaturverfilmung und Christoph Hein einer der wichtigsten ostdeutschen Autoren. Mit wieviel Respekt sind Sie an dieses Projekt herangegangen?

Ich bin mit den Büchern von Christoph Hein groß geworden und habe immer eine große Nähe zu der psychologischen Genauigkeit und der Feinheit im Umgang mit Figuren gespürt. Generationsbedingt hatte ich natürlich schon einen gewissen Respekt vor einem Autor wie Christoph Hein. Aber von seiner Seite aus war die Zusammenarbeit von einer großen Offenheit geprägt. Er hat uns freie Hand gelassen und aus der Distanz wohlwollend begleitet.

Hein beschreibt Willenbrock aus einer sehr distanzierten Perspektive. Ihr Film hat eine ganz andere Haltung gegenüber der Figur...

Distanz ist einfach nicht meine Sache. Ich lasse mich gerne auf Figuren ein, dramatisches, filmisches Erzählen verträgt sich nicht mit der Distanziertheit, die ein Roman sich leisten kann.

»Willenbrock« ist ein Nach-Wende-Roman, in dem auch die Stasi-Vergangenheit beleuchtet wird. Warum haben Sie diesen Erzählstrang im Film außen vor gelassen?

Uns hat die Nach-Wende-Stasi-Nummer schlichtweg nicht mehr interessiert. Ich habe darüber Mitte der 90er einen ganzen Film gemacht, und für mich ist die Diskussionen um Vergangenheit und Schuld irgendwann einfach erledigt. Uns hat die Gegenwart interessiert, in der viele Leute in dem westlichen Gefüge einigermaßen angekommen zu sein scheinen, und die Brüche, die darin liegen.

Fühlen Sie sich immer noch als ostdeutscher Filmemacher?

Heimat ist dort, wo Erinnerung sich auskennt. Das ist bei mir bis 1989 die DDR gewesen. Es ist leichter, Geschichten an Orten zu erzählen, die einem vertraut sind. Das ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass meine Geschichten sich zwangsläufig auf den Osten beziehen müssen. Sie haben hier ihr soziales Fundament, sind aber durchaus universell konzipiert. Wir schauen uns mit großer Selbstverständlichkeit Filme aus Frankreich, Japan oder Hongkong an und übersetzen sie dann auf unser Leben. Und so ist das dann auch, wenn man mit einem Film wie Halbe Treppe ins Ausland geht. In Bombay interessiert das niemanden, ob Frankfurt/Oder in Ost- oder Westdeutschland liegt.

»Willenbrock« setzt sich als einer der ersten Filme mit dem ostdeutschen Mittelstand auseinander...

Willenbrock hat sich innerhalb kürzester Zeit seinen Wohlstand erarbeitet oder erschlichen, wie man boshafter sagen könnte. Er ist in den blühenden Landschaften angekommen, die Helmut Kohl uns damals versprochen hat. Mir ist es sehr schwer gefallen, mich diesem Mittelstandsmilieu zu nähern. Zu Leuten, die sich eher am sozialen Abgrund entlang bewegen, empfinde ich eine größere solidarische Verbundenheit als zu Typen wie Willenbrock, die alle ausnutzen und immer mit beiden Händen zugreifen. Außerdem ist es viel komplizierter, interessante Bilder für das spießige Kleinbürgertum zu finden, als zwei Obdachlose unter einer Brücke zu filmen.

Aber trotzdem ist Willenbrock, so wie Axel Prahl ihn spielt, alles andere als ein Unsympath...

Wenn man Willenbrock als smarten Macho besetzt, wären wir in der ersten Hälfte des Films komplett verloren gewesen. Axel Prahl hat diese Grundwärme, die Bodenständigkeit und ein inneres Leuchten, das mir und den Zuschauern hilft, mit der Figur warm zu werden.

Wie schon in »Halbe Treppe« spielt auch in »Willenbrock« das Motiv der Untreue eine zentrale Rolle...

Wir leben in einer Zeit, die auch eine gewisse Flüchtigkeit in Beziehungen produziert. Man ist in vielen Punkten unersättlich und zu schnell unzufrieden mit dem, was man hat. Willenbrock greift in das Leben mit vollen Händen und will in jeder Hinsicht erfolgreich sein. Er sucht in der Quantität seine Selbstbestätigung, bis er am Schluss erkennen muss, dass das einzig wichtige seine Beziehung ist, die er sträflich vernachlässigt hat.

Interview: Martin Schwickert